Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer: Kein steuerbegünstigter Veräußerungsgewinn bei der "Praxisveräußerung" eines ausschließlich operativ tätigen Orthopäden bei zeitgleicher Eröffnung einer neuen Praxis für konservative Orthopädie
Leitsatz (amtlich)
1. Eine tarifbegünstigte Praxisvergrößerung liegt nicht vor, wenn das Entgelt lediglich für den Verzicht des bisherigen Praxisinhabers auf seine Kassenzulassung gezahlt wird, ohne dass der Erwerber die Praxis fortführt.
2. Eine steuerbegünstigte Praxisveräußerung und -aufgabe setzt voraus, dass der bisherige Praxisinhaber die freiberufliche Tätigkeit in dem bisherigen örtlichen Wirkungskreis wenigstens für eine gewisse Zeit einstellt. Das ist nicht der Fall, wenn der veräußernde, bisher nur operativ tätige Orthopäde gleichzeitig mit der Veräußerung/Aufgabe der alten Praxis in unmittelbarer Nähe eine neue Praxis eröffnet, in der er in geringerem Umfang Operationen durchführt und die Patienten hauptsächlich klassisch orthopädisch behandelt.
Normenkette
EStG § 16 Abs. 3, § 18 Abs. 3, § 34 Abs. 1, 2 Nr. 1
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger zu 1. (im Folgenden: der Kläger) für die Veräußerung einer Arztpraxis eine tarifbegünstigte Besteuerung in Anspruch nehmen kann.
Die Kläger sind Eheleute. Der Kläger ist Facharzt für Orthopädie und war bis zum ... 2005 Inhaber einer orthopädischen Praxisklinik in der X-Straße in Hamburg. Er hatte eine Zulassung zum Vertragsarzt der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) und behandelte Kassen- und Privatpatienten. Seine Tätigkeit bestand ausschließlich in der Durchführung von Kniegelenksoperationen (ca. ... pro Jahr). Die Patienten wurden dem Kläger von anderen Orthopäden überwiesen und ambulant operiert. Die Praxisklinik verfügte über ... voll ausgestattete Operationsräume.
Am ... 2005 schloss der Kläger einen Vertrag mit Herrn Dr. A (Einkommensteuerakten -EStA- Bl. 180 ff.), in dem die Übernahme der Praxis in der X-Straße durch Herrn Dr. A zum Preis von € ... und mit Wirkung zum ... 2006 vereinbart wurde. Nach § 3 dieses Vertrages ging die Patientenkartei mit sämtlichen Krankenunterlagen in das Eigentum des Erwerbers über, der sich zu ihrer Aufbewahrung verpflichtete. Das Praxisinventar wurde nicht übertragen (§ 2). Nach § 4 des Vertrages sollte sich der Erwerber um die Zustimmung des Vermieters zur Nutzung der Praxisräume bemühen und ... - der insgesamt ... - Arbeitsverhältnisse übernehmen. Gemäß § 7 des Vertrages war es dem Kläger untersagt, sich innerhalb von drei Jahren seit der Praxisübergabe in Hamburg als Vertragsarzt niederzulassen. Mit der vom Kläger geplanten Eröffnung einer orthopädischen Privatpraxis in ... erklärte der Erwerber sich einverstanden. Der Vertrag stand unter der auflösenden Bedingung, dass der Erwerber von der KV rechtskräftig nicht als Nachfolger ausgewählt würde (§ 9). Auf den weiteren Vertragsinhalt wird Bezug genommen.
Die KV beendete die Kassenzulassung des Klägers auf dessen Antrag hin, schrieb den Kassensitz neu aus und vergab ihn an Herrn Dr. A, der der einzige Bewerber war.
Dr. A übernahm den Mietvertrag über die Praxis in der X-Straße nicht. Zum ... 2006 trat er in eine orthopädische Gemeinschaftspraxis in der Y-Straße in Hamburg ein.
Der Kläger eröffnete am ... 2006 die sog. "C-Praxis ..." in der Z-Straße als reine Privatpraxis, in der er die Patienten orthopädisch behandelt. Diese Praxis verfügt nicht über Operationsräume. Die Miete für die ab 2006 weitgehend leerstehenden Räume in der X-Straße zahlte der Kläger bis zum Ende des Mietvertrages am ... 2009 weiter. Bis zu diesem Zeitpunkt führte er in den nach wie vor entsprechend ausgestatteten Operationsräumen an einem Vormittag in der Woche jeweils eine bis ... Operationen durch, insgesamt ca. ... pro Jahr. Seit Beendigung des Mietverhältnisses operiert er seine Patienten in der "Praxisklinik B" in einem vergleichbaren Umfang.
In der am 26.06.2007 beim Beklagten eingereichten Einkommensteuererklärung für 2006 erklärte der Kläger für seine Praxis einen laufenden Gewinn in Höhe von € ... und einen Veräußerungsgewinn in Höhe von € ...
Im Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 03.01.2008 behandelte der Beklagte den Gewinn aus der Veräußerung als laufenden Gewinn (insgesamt: € ...; Einkommensteuer: € ...) und wies zur Begründung darauf hin, dass der Kläger mit der Eröffnung der neuen Praxis die gleiche freiberufliche Tätigkeit fortsetze und diese nicht in dem bisherigen örtlichen Wirkungskreis eingestellt habe, wie es für eine steuerbegünstigte Veräußerung erforderlich sei.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 23.01.2008 (Rechtsbehelfsakten -RbA- Bl. 36 f.), in dem nur er als Einspruchsführer genannt ist, Einspruch ein. Seine frühere Tätigkeit als Kassenarzt mit der Ausrichtung auf operative Eingriffe sei nicht mehr im Geringsten vergleichbar mit der jetzt nur noch bei Privatpatienten durchgeführten klassischen Orthopädie.
Der Beklagte wies den Einspruch mit der an beide Kläger gerichteten Einspruchsentscheidung vom 19....