Revision eingelegt (BFH X R 20/21)
Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer: Keine Gewährung einer Steuerermäßigung bei Belastung mit Erbschaftsteuer trotz schuldloser Überschreitung des Begünstigungszeitraums
Leitsatz (amtlich)
1. § 35b EStG sieht eine Rückrechnung dergestalt vor, dass die der Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte im aktuellen Veranlagungsjahr oder den vier vorherigen Veranlagungszeiträumen der Erbschaftsteuer unterlegen haben müssen. Dabei haben Einkünfte in dem Zeitpunkt der Erbschaftsteuer unterlegen, in dem die Erbschaftsteuer rechtlich entstanden ist. Auf den Zeitpunkt der Festsetzung der Erbschaftssteuer, der Erlangung der tatsächlichen Verfügungsgewalt über den Nachlass oder der Zahlung der Erbschaftsteuer kommt es hingegen nicht an.
2. Für die Berechnung des Begünstigungszeitraums im Sinne des § 35b EStG ist es unerheblich, ob der Kläger an der rechtzeitigen Antragstellung schuldlos gehindert war.
Normenkette
EStG § 35b; ErbStG § 9
Tatbestand
Die Kläger wenden sich gegen die Nichtgewährung einer Steuerermäßigung bei Belastung mit Erbschaftsteuer im Rahmen des Einkommensteuerbescheids 2017.
Der Kläger ist Alleinerbe der am ... 2010 verstorbenen A ("Erblasserin"), von der er unter anderem Beteiligungen an der B ... mbH Objekt: X-Straße ("Beteiligung 1") und der C ... mbH Objekt: Y-Straße ("Beteiligung 2") erbte. Der Nachlass umfasste auch weitere Nachlassgegenstände. Insgesamt belief sich der erbschaftsteuerliche Erwerb auf EUR ...
Da im Todeszeitpunkt der Erblasserin mehrere Testamente existierten, kam es zu einer rund sechs Jahre andauernden gerichtlichen Erbenermittlung durch das Amtsgericht Hamburg-1 (Az. ...) sowie- nachfolgend - das Hanseatische Oberlandesgericht (Az. ...). Im Erbscheinsverfahren setzte das Amtsgericht Hamburg-1 dabei zunächst als Nachlassgericht mit Beschluss vom ... 2010 jeweils einen Nachlass- und einen Verfahrenspfleger ein, welche bis zur Erteilung des Erbscheins den Gesamtnachlass der Erblasserin verwalten sollten und auch in der Folge tatsächlich verwalteten. Hierdurch war der Kläger bis zur Erstellung des Erbscheins gehindert, über den Nachlass zu verfügen oder diesbezüglich Anordnungen zu treffen. Im Verlauf des Erbscheinsverfahrens kam es zudem aufgrund des Todes des mit der Nachlasssache beim Amtsgericht Hamburg-1 betrauten Urkundsbeamten zu zeitlichen Verzögerungen bei der Erbscheinserstellung, sodass der Kläger aufgrund des Zusammenwirkens beider Umstände (d.h. streitiges Erbscheinverfahren und personelle Engpässe des Nachlassgerichts), erst mit Erbschein vom 2. März 2016 durch das Amtsgerichts Hamburg-1 zum Alleinerben der Erblasserin bestimmt wurde.
Mit Erbschaftsteuerbescheid vom 17. November 2016, geändert durch den Erbschaftsteuerbescheid vom 22. Mai 2017, wurde sodann durch den Beklagten die Erbschaftsteuer auf EUR ... festgesetzt, welche der Kläger Ende Dezember 2016 beglich.
Mit Wirkung zum 1. Januar 2017 veräußerte der Kläger die Beteiligung 1 sowie die Beteiligung 2 und erzielte hierbei einen Veräußerungsgewinn in Höhe von EUR ...
Im Rahmen der Einkommensteuererklärung 2017 machten die Kläger sodann eine Steuerermäßigung bei Belastung mit Erbschaftsteuer nach § 35b Einkommensteuergesetz (EStG) geltend und gaben Einkünfte für die Ermäßigung wegen Erbschaftssteuer in Höhe von EUR ... an. Der Beklagte gewährte die beantragte Steuerermäßigung im Einkommensteuerbescheid vom 28. Januar 2019 nicht und setzte die Einkommensteuer auf EUR... fest.
Am 27. Februar 2019 legten die Kläger Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid vom 28. Januar 2019 ein. Mit Schreiben ihrer vormaligen Rechtsvertreter vom 29. April 2019 begründeten sie ihren Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2017 damit, dass sie die nicht gewährte Steuerermäßigung bei Belastung mit Erbschaftsteuer gemäß § 35b EStG für rechtswidrig hielten. Zwar sei für den Begünstigungszeitraum grundsätzlich der Zeitpunkt der Entstehung der Erbschaftsteuer gemäß § 9 Abs.1 Nr. 1 Erbschaftsteuergesetz (ErbStG) entscheidend und nicht der verfahrensrechtliche Stand des Erbfalls, sodass die Entstehung der Steuer und damit der Beginn des Begünstigungszeitraums beim Erwerb von Todes wegen mit dem Tod des Erblassers erfolge. Dies würde den Kläger im konkreten Fall jedoch stets von einer Steuerermäßigung ausschließen, da die Veräußerungsgewinne erst nach rund sechs Jahren und damit außerhalb des Begünstigungszeitraums erzielt wurden und erzielt werden konnten. So sei der in § 35b Satz 1 EStG geregelte Fünfjahreszeitraum lediglich aus Vereinfachungsgründen eingeführt worden, um eine Vielzahl von Fällen abzubilden, für deren Erledigung eine derartige Frist ausreicht. Wenn es jedoch der Steuerpflichtige nachweislich nicht in der Hand gehabt habe, auf die Sachverhaltsgestaltung einzuwirken, sei die Norm teleologisch dahingehend auszulegen, dass die Fünfjahresfrist um den Zeitraum der fehlenden Verfügungsgewalt verlängert werde. Andernfalls läge durch die Doppelbesteuerung mit Erbschaft- und Einkommensteuer ...