Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht: Verfristeter Einspruch gegen Einfuhrabgabenbescheid und unwirksame Klagerhebung in polnischer Sprache
Leitsatz (amtlich)
1. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich einer versäumten Einspruchsfrist ist einem polnischen Einspruchsführer nicht zu gewähren, wenn er rechtsirrtümlich davon ausgeht, dass für die Fristwahrung die Absendung des Schreibens maßgeblich ist.
2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich einer versäumten Klagefrist ist einem polnischen Kläger nicht zu gewähren, wenn er eine Klage auf Polnisch erhebt, obwohl er zuvor darauf hingewiesen wurde, dass er mit deutschen Behörden auf Deutsch korrespondieren muss.
Normenkette
AO § 87 Abs. 1, 4, § 108 Abs. 1, § 110 Abs. 1, § 122 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 355 Abs. 1 S. 1, § 356 Abs. 1; FGO § 47 Abs. 1 S. 1, §§ 52, 54 Abs. 1, § 55 Abs. 1, § 56 Abs. 1; GVG § 184; BGB § 188 Abs. 2; EU-Grundrechtecharta Art. 41 Abs. 4; AEUV Art. 24 Abs. 4; EGVO-883/2004 Art. 3, 76 Abs. 7
Tatbestand
Der polnische Kläger wendet sich gegen ein Steuer- und Zinsbescheid.
Mit Steuer- und Zinsbescheid vom 05.02.2014 (Registrierkennzeichen: XXX) setzte der Beklagte gegen den Kläger Einfuhrumsatz- und Tabaksteuer sowie Hinterziehungszinsen in Höhe von insgesamt ... € fest. Zur Begründung führte er aus, dass am 05.10.2012 für den aus A kommenden Container YYY eine falsche T1-Versandanmeldung beim Zollamt B abgegeben worden sei. Hierin sei die Ware als Handtücher deklariert worden, obwohl sich tatsächlich 9 Mio. unverzollte und unversteuerte Zigaretten der Marke C in dem Container befunden hätten, die vorschriftswidrig aus der Freizone Hamburg in das übrige Zollgebiet der Union verbracht worden seien. Wegen dieses vorschriftswidrigen Verbringens sei die Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von ... € in sinngemäßer Anwendung der Zollvorschriften entstanden. Der Kläger sei Schuldner dieser Steuer, da er am Verbringen der Zigaretten beteiligt gewesen sei, obwohl er gewusst habe, dass er damit vorschriftswidrig handeln würde. Aus denselben Gründen sei der Kläger auch als Gesamtschuldner für die Tabaksteuer in Höhe von ... € heranzuziehen. Der Kläger hafte gesamtschuldnerisch mit einem anderen Tatbeteiligten. Weiter seien Hinterziehungszinsen in Höhe von insgesamt ... € entstanden.
Der Bescheid enthält eine Rechtsbehelfsbelehrung, nach der beim Hauptzollamt Hamburg-1, X-Straße ..., Hamburg, Einspruch schriftlich eingereicht, elektronische übersandt oder dort zur Niederschrift erklärt werden könne. Die Frist betrage einen Monat und beginne mit Ablauf des Tages, an dem die Entscheidung bekannt gegeben worden sei.
Ausweislich des vom Kläger am 13.02.2014 unterschriebenen Rückscheins (Bl. 45 SA) wurde ihm der Bescheid an jenem Tag zugestellt.
Mit Schreiben vom 12.03.2014 erhob der Kläger Einspruch ("Sprzeciw") gegen den Bescheid vom 05.02.2014. Nach der vom Beklagten veranlassten Übersetzung bestritt der Kläger die Vorwürfe und berief sich auf eine Verletzung von Art. 41, 9, 18 und 16 der EU-Grundrechtecharta. Außerdem verwies er darauf, dass gem. Art. 13 des Kodex alle an ihn gerichteten Schreiben auf Polnisch abgefasst sein müssten. Nach dem Einlieferungsvermerk der Deutschen Post AG ging das Schreiben dem Beklagten am 20.03.2014 (...) zu.
Mit Schreiben vom 15.04.2014, das dem Kläger ausweislich des unterschriebenen Rückscheins (...) zugegangen ist, wies der Beklagte darauf hin, dass der Einspruch verfristet sei. Da der Bescheid am 13.02.2014 zugestellt worden sei, sei die Einspruchsfrist am 13.03.2014 abgelaufen. Er wies den Kläger darauf hin, dass sämtlicher Schriftwechsel mit ihm in deutscher Sprache zu führen sei (§ 87 AO).
Auf dieses Schreiben des Beklagten nahm der Kläger mit Schreiben vom 09.06.2014 in polnischer Sprache Stellung: Für die Fristwahrung sei das Datum des Poststempels maßgeblich. Dies ergebe sich aus Art. 13 des Europäischen Kodex für gute Verwaltungspraxis. Danach stelle der Beamte sicher, dass jeder Bürger, der sich in einer der Vertragssprachen schriftlich an das Organ wende, seine Antwort in gleicher Sprache erhalte. Die an ihn gerichteten Schreiben in deutscher Sprache seien unverständlich.
Mit Einspruchsentscheidung vom 20.01.2015, zugestellt am 27.01.2015, wurde der Einspruch als unzulässig verworfen. Nach Art. 245 ZK würden die Einzelheiten des Rechtsbehelfsverfahrens von den Mitgliedstaaten erlassen. Nach § 347 AO sei der Einspruch statthaft, wenn er innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe eingelegt werde. Nach §§ 123, 122 Abs. 2 Nr. 1 AO i. V. m. §§ 186 bis 193 BGB habe die Einspruchsfrist am Tag nach der Bekanntgabe, dem 13.02.2014, zu laufen begonnen. Die Frist sei damit mit Ablauf des 13.03.2014 - einem Donnerstag - abgelaufen.
Mit einem in polnischer Sprache verfassten Schreiben vom 25.02.2015 mit der Überschrift "Skarga", das am 26.02.2015 vorab per Telefax beim Gericht einging, hat der Kläger Klage erhoben. Mit Telefax vom 27.02.2015 wies der Senat den Kläger auf Polnisch darauf hin, dass er sein Schreiben a...