Revision eingelegt (BFH I R 70/16)
Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgabenordnung/Gewerbesteuer: Ende des Abwicklungszeitraums als gewerbesteuerrechtlich rückwirkendes Ereignis
Leitsatz (amtlich)
1. Der Gewerbesteuermessbescheid ist für die Feststellung, ob ein rückwirkendes Ereignis vorliegt, Grundlagenbescheid für die Zinsfestsetzung.
2. Die Feststellung, ob ein rückwirkendes Ereignis vorliegt, kann auch dann in einem Änderungsbescheid getroffen werden, wenn die Änderung nach § 164 Abs. 2 AO erfolgt.
3. Wird eine Gesellschaft abgewickelt, ist ihr Gewinn für den gesamten Abwicklungszeitraum als Gewinnermittlungszeitraum zu ermitteln. Die Abwicklung ist gewerbesteuerrechtlich beendet, wenn das zur Verteilung kommende Vermögen feststeht. Der für den gesamten Gewinnermittlungszeitraum ermittelte Gewinn ist ratierlich auf die einzelnen Kalenderjahre dieses Zeitraums zu verteilen.
4. Die Abwicklung ändert nichts daran, dass die Gewerbesteuer mit Ablauf des einzelnen Kalenderjahres entsteht. Das Ende der Abwicklung kann ein rückwirkendes Ereignis sein, wenn der gewerbesteuerrechtliche Abwicklungszeitraum mehrere Kalenderjahre umfasst und im Zeitpunkt des Endes der Abwicklung bereits Gewerbesteuermessbescheide für frühere Kalenderjahre erlassen waren.
Normenkette
AO § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; GewStG § 7 S. 1, §§ 18, 14 S. 2; KStG § 11 Abs. 1 Sätze 1-2, Abs. 3
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Verfahren gegen geänderte Gewerbesteuermessbescheide 2003 und 2006 darüber, ob das Ende der Abwicklung der Klägerin im Jahr 2009 erfolgte und damit ein rückwirkendes Ereignis eingetreten ist, was sich auf den Beginn des Zinslaufs auswirkt.
Die Klägerin wurde im Jahr 1967 aufgelöst und nach Schluss der Abwicklung im Jahr 1970 im Handelsregister gelöscht. Für den Zeitraum 1967 bis 1970 wurde eine Abwicklungsbesteuerung nach Maßgabe des § 11 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) durchgeführt.
Seit 1990 machte die Klägerin vermögensrechtliche Ansprüche im Zusammenhang mit ihrem früheren Grund- und Betriebsvermögen in A gegen die Treuhandanstalt (später umbenannt in: Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben, im Folgenden: BvS) geltend. Zu diesem Zweck wurde für die Klägerin erstmals am 28.02.1991 eine Abwicklerin gemäß § 273 Abs. 4 des Aktiengesetzes (AktG) bestellt. Im November 2005 wurde der Prozessbevollmächtigte der Klägerin als Nachtragsliquidator für die Klägerin gemäß § 273 Abs. 4 AktG bestellt.
Die Klägerin stellte Jahresabschlüsse (Bilanzen sowie Gewinn- und Verlustrechnungen - GuV -) für 1991 bis zum 30.09.2009 auf, wobei sie im Jahr 1997 erstmalig eine Auskehrung zur Befriedigung eines Teils ihrer Ansprüche von der BvS erhielt. Gemäß Schreiben des Beklagten vom 17.06.2015 waren nach Angaben der Klägerin bis zum 30.09.2009 bis auf Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis alle übrigen Abwicklungsmaßnahmen vollzogen. Auf die Jahresabschlüsse wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.
Der Beklagte erließ am 21.12.2001 einen Körperschaftsteuerbescheid, in dem er einen vom 28.02.1991 bis zum 31.12.1997 dauernden Besteuerungszeitraum erfasste und die Besteuerungsgrundlagen anhand der eingereichten Gewinnermittlungen schätzte. Des Weiteren erließ der Beklagte am selben Tag Gewerbesteuermessbescheide 1991 bis 1997.
Die hiergegen gerichtete Klage hatte nur teilweise Erfolg. Nach Auffassung des Finanzgerichts (FG) war auch für die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags derselbe Besteuerungszeitraum wie bei der Körperschaftsteuer mit dem gesamten Gewerbeertrag des Besteuerungszeitraums zugrunde zu legen, weshalb die Gewerbesteuermessbescheide 1991 bis 1996 aufgehoben wurden (FG Hamburg, Urteil vom 29.05.2006, 5 K 136/03, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2006, 1856).
Die gegen die Aufhebung der Gewerbesteuermessbescheide gerichtete Revision des Finanzamtes wurde mit Zustimmung der Klägerin zurückgenommen. Die Revision der Klägerin, die den Körperschaftsteuerbescheid betraf, wurde als unbegründet zurückgewiesen (Bundesfinanzhof - BFH -, Urteil vom 18.09.2007 I R 44/06, Sammlung der Entscheidungen des BFH - BFHE - 219, 61, Bundessteuerblatt Teil II - BStBl II - 2008, 319).
Der Beklagte erließ unter Zugrundelegung der eingereichten Gewinnermittlungen der Klägerin unter anderem (u. a.) Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuermessbescheide für 1998 am 08.12.2005, für 1999 bis 2004 am 23.03.2006 und für 2005 bis 2007 am 28.05.2009, jeweils gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Die Klägerin legte hiergegen entsprechend am 14.12.2005, am 13.04.2006 sowie am 22.06.2009 Einsprüche ein.
Im Dezember 2009 reichte die Klägerin Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuererklärungen für den "Liquidationszeitraum 01.01.1991 bis 30.09.2009" ein. Den Erklärungen fügte sie eine Übersicht über die "Entwicklung der Jahresergebnisse sowie der einzelnen Bilanz- und GuV-Posten für den Zeitraum 1991 bis 30.09.2009" sowie eine Bilanz und GuV für 2008 bei, auf die wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen ...