Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung zwischen Vertragsaufhebung und -übernehme; Zugang eines Rücktrittsschreibens
Leitsatz (amtlich)
Die Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs i.S. des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG setzt dessen zivilrechtliche Aufhebung voraus. Ob die Vertragsparteien die Aufhebung des ursprünglichen und den Abschluss eines neuen Vertrages mit einem anderen Käufer oder aber eine Vertragsübernahme vereinbaren wollten, ist durch Auslegung zu ermitteln, die nicht notwendigerweise an den Wortlaut der Vereinbarung gebunden ist. Eine Vertragsübernahme liegt regelmäßig vor, wenn sich die Beteiligten auf einen Wechsel auf der Erwerberseite beschränken und die übrigen Vertragsbedingungen unverändert lassen.
Ist in einem Kaufvertrag ein fristgebundenes Rücktrittsrecht vereinbart, so ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Rücktrittserklärung dem Vertragspartner innerhalb der vereinbarten Frist zugehen muss. Soll der Rücktritt schriftlich gegenüber dem beurkundenden Notar zu erklären sein, so muss das Schreiben innerhalb der üblichen Bürozeiten dort eingehen.
Normenkette
GrEStG § 16 Abs. 1 Nr. 1; BGB § 130 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
A. Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte verpflichtet ist, einen Grunderwerbsteuerbescheid nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) aufzuheben.
I.
Die Klägerin wurde durch Gesellschaftsvertrag vom ..... gegründet und ist u.a. als Bauträgerin tätig (vgl. Handelsregisterauszug, Grunderwerbsteuerakten -GrEStA- Bl. 83). Alleiniger Geschäftsführer der Klägerin und zu 30 % an ihr beteiligt ist Herr A. Weitere Gesellschafter sind seine Ehefrau und Herr B.
Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 09. April 2008 (GrEStA Bl. 1 ff.) erwarb die Klägerin von den Eheleuten C das in der X-Straße belegene und im Grundbuch von D Band ... Blatt ... eingetragene Grundstück zum Preis von Euro 260.000,00. Der Verkauf war durch die Maklerfirma E GmbH vermittelt worden. Die Klägerin plante, das auf dem Grundstück vorhandene Einfamilienhaus abzureißen und ein neues Gebäude mit drei Wohneinheiten zu errichten.
Der Vertrag enthielt in § 9 folgende Bestimmung: "Die Käuferin kann von diesem Vertrag durch schriftliche Erklärung gegenüber der beurkundenden Notarin - die zur Entgegennahme der Erklärung ermächtigt ist - bis zum 10. Juni 2008 zurücktreten, wenn bis zum 30. Mai 2008 nicht der am 08. April 2008 eingereichte und diesem Vertrag in Kopie beigefügte Vorbescheidsantrag (...) positiv beschieden wird (...)."
Die Eintragung einer Auflassungsvormerkung wurde nicht vereinbart (§ 8 des Vertrages). Der Kaufpreis sollte bis zum 31. Juli 2008 auf das Anderkonto der beurkundenden Notarin F gezahlt werden und war ab dem Tage der Fälligkeit mit jährlich sechs Prozent zu verzinsen (§ 2 des Vertrages). Gemäß §§ 3 und 4 des Vertrages sollte als Übergabe- und Verrechnungstag der Tag der vollständigen Kaufpreiszahlung gelten. Auf den weiteren Inhalt des Vertrages wird Bezug genommen.
Der Beklagte setzte für diesen Erwerbsvorgang durch Grunderwerbsteuerbescheid vom 22. April 2008 (GrEStA Bl. 10) eine Grunderwerbsteuer von Euro 9.100,00 fest.
Die Vertragsparteien vereinbarten vor Ablauf der Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts gemäß § 9 des Vertrages per Telefaxschreiben eine Fristverlängerung bis zum 10. Juli 2008. Zwischen den Vertragsbeteiligten kam es in der Folgezeit zu Streit darüber, ob die Klägerin das Rücktrittsrecht wirksam ausgeübt hat oder nicht. Die Eheleute C erhoben gegen die Klägerin im Urkundsprozess mehrere Klagen auf Zahlung von Verzugszinsen.
II.
Auf Vorschlag der Klägerin einigten sich die Vertragsparteien Anfang 2009 darauf, dass die G GmbH das Grundstück anstelle der Klägerin erwerben solle. Geschäftsführer dieser Gesellschaft und je zur Hälfte an ihr beteiligt waren der Geschäftsführer der Klägerin und Herr B (vgl. Handelsregisterauszug, GrEStA Bl. 82).
Am 25. Februar 2009 schlossen die Eheleute C, die Klägerin, vertreten durch ihren Geschäftsführer Herrn A, und die G GmbH, ebenfalls vertreten durch Herrn A, vor dem Notarassessor H als amtlich bestelltem Vertreter der Notarin F eine als "Vertragsaufhebung und Kaufvertrag" bezeichnete Vereinbarung (UR-Nr. .....; GrEStA Bl. 51 ff.). Hierin wurde unter Ziff. II Folgendes vereinbart:
"1. Hiermit heben die Eheleute Herr und Frau C sowie die I GmbH den Kaufvertrag vom 9. April 2008 - UR.-Nr. ..... - vollen Umfanges gegen Zahlung einer einmaligen Schadenspauschale in Höhe von EUR 11.000,00 auf. Die Käufer quittieren mit ihrer Unterschrift unter diesem Vertrag den Erhalt eines Betrages in Höhe von EUR 10.000,00, den restlichen Betrag wird die I GmbH unverzüglich auf das unter § 2 in Abschnitt II dieses Vertrages genannte Konto überweisen. Die Aufhebung ist bereits mit der Zahlung der ersten Rate in Höhe von EUR 10.000,00 wirksam. Damit sind alle wechselseitigen Ansprüche aus dem Kaufvertrag vom 9. April 2008 - einschließlich der rechtshängigen Klageforderungen - erloschen. Die Verkäufer verpflichten sich, die vor ...