Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer tatsächlichen Verständigung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine tatsächliche Verständigung ist zulässig, wenn sich die Beteiligten über Sachverhaltsfragen verständigen.

2. Eine solche Verständigung wirkt über das konkrete finanzgerichtliche Verfahren hinaus. Es unterliegt danach nicht mehr den Möglichkeiten des Gerichts, den Sachverhalt aufzuklären.

3. Ausnahmen von der Bindungswirkung bestehen insbesondere, wenn ein Beteiligter nicht prozessfähig gewesen ist, durch unzulässige Einwirkung zur Verständigung gezwungen wurde oder die Verständigung ein offensichtlich unzutreffendes Ergebnis bewirkt.

4. Eine Anfechtung wegen Irrtums ist nicht zulässig, denn die Beteiligten tragen ein gewisses Maß an Unsicherheit.

 

Normenkette

AO §§ 72, 88

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 16.08.2005; Aktenzeichen XI B 6/05)

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich mit der Klage gegen die geänderten Einkommensteuer- bescheide 1995 bis 1997 und die geänderten Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag 1995 bis 1997, die auf Grund einer tatsächlichen Verständigung ergangen sind.

Am 20.08.1997 gab der Kläger die Einkommensteuererklärung 1995 ab. Durch Bescheid vom 15.09.1997 wurde er veranlagt, wobei Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von DM 19.182 angesetzt wurden. Im Einkommensteuerbescheid 1996 vom 29.06.1998 wurden Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von DM 43.300 und im Einkommensteuerbescheid 1997 vom 24.08.1999 wurde ein Verlust in Höhe von DM -10.228 angesetzt.

Im Rahmen der am 19.06.2000 beginnenden und am 25.01.2001 abgeschlossenen Betriebsprüfung stellte der Prüfer u.a. fest, dass seines Erachtens zu Unrecht Herstellungskosten als Erhaltungsaufwendungen erfasst wurden. Die Veranlagung folgte den Feststellungen des Betriebsprüfers und änderte u.a. am 11.04.2001 die Einkommensteuerbescheide 1995 bis 1997 und erließ neue Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag 1995 bis 1997.

Hiergegen wandte sich der Kläger mit seinem Einspruch vom 08.05.2001. Im Rahmen des hierauf folgenden Rechtsbehelfsverfahrens verböserte der Beklagte nach vorheriger Anhörung die Einkommensteuerbescheide und Gewerbesteuerbescheide 1996 und 1997, weil Rechnungen von dem Beklagten als Rechnungen von Scheinunternehmen angesehen und dementsprechend die dort ausgewiesenen Kosten nicht als Aufwendungen anerkannt wurden. Im Übrigen wurden die Einsprüche durch Einspruchsentscheidung vom 21.06.2002 als unbegründet zurückgewiesen.

Hiergegen richtete sich u.a. die am 17.07.2002 erhobene Klage mit dem Aktenzeichen II 241/02.

Im Erörterungstermin vom 27.11.2003 wurden die Verfahren bezüglich der Einkommensteuer und Gewerbesteuer 1995 bis 1997 abgetrennt und danach unter der Geschäftsnummer II 427/03 geführt.

Im Rahmen des Erörterungstermins am 27.11.2003 wurde über die Rechnungen der Scheinunternehmen und über die durchgeführten baulichen Maßnahmen am Haus gesprochen. Auf Anraten der Berichterstatterin einigten sich die Beteiligten in folgender Weise:

"In 1995 werden von den geltendgemachten 59.556,49 DM 35 % als Herstellungskosten angesetzt. In 1996 werden von den geltendgemachten 101.215,84 DM 53.000 DM, die sich auf die Rechnung von dem Scheinunternehmen beziehen, nicht anerkannt. Es verbleiben daher 48.215,84 DM. Von diesem Betrag werden 35 % als Herstellungskosten angesetzt. In 1997 werden von den 18.542,34 DM ebenfalls 35 % als Herstellungskosten angesetzt. Die Herstellungskosten werden in 15 Jahren abgeschrieben. Die Beteiligten erklären damit den Rechtsstreit bezüglich Einkommensteuern und Gewerbesteuer übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt."

Im Laufe der folgenden weiteren Erörterungen wurde im Rahmen des streitigen Umsatzsteuerproblems die Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer streitig, da der Kläger zwischenzeitlich die bisherigen Grundlagen der Ermittlung der Einkünfte der Vermietungsleistungen in Frage stellte. Im Zuge der Diskussion kam es zu einem Wortwechsel des Klägers mit dem Beklagtenvertreter, im Rahmen dessen der Beklagtenvertreter dem Kläger mitteilte, dass ggf. die Unterlagen von der Steuerfahndung zu überprüfen wären, falls der Kläger an seiner neuen Behauptung festhalten wolle.

Durch Bescheide vom 29.12.2003 setzte der Beklagte die tatsächliche Verständigung um und übersandte diese Bescheide mit einem Schreiben vom 30.12.2003 an den Kläger mit der Erklärung, dass damit die getroffene Einigung umgesetzt worden sei.

Gegen die geänderten Bescheide vom 29.12.2003 legte der Kläger am 26.01.2004 Einspruch ein, den er nicht weiter begründete und der durch Einspruchsentscheidung vom 09.03.2004 als unzulässig abgewiesen wurde.

Am 08.04.2004 erhob der Kläger hiergegen Klage. In der am 14.06.2004 eingereichten Klagebegründung schreibt der Kläger:

"Ich habe dem nicht freiwillig zugestimmt - ich bin von dem Vertreter des Finanzamtes, Herrn ..., bedroht worden. Inhalt dieser Bedohung: ... er höre aus meinen Worten heraus, daß ich mehr Einnahmen gehabt hätte als angegeben - er gehalte sich vor, ein Strafv...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Steuer Office Excellence enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge