Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt (BFH VII B 8/14)
Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgabenordnung: Haftung gemäß § 71 AO aufgrund einer Beteiligung an einem Umsatzsteuerhinterziehungssystem für nicht oder zu niedrig angemeldete Umsatzsteuer des missing traders
Leitsatz (amtlich)
1. (Mit-)Täter einer Hinterziehung von Umsatzsteuer durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO kann nur sein, wer die rechtliche Erklärungspflicht für die Voranmeldungen und die Jahreserklärungen zu erfüllen hat. Dies ist der gesetzliche Vertreter gemäß § 34 Abs. 1 AO, aber auch der Verfügungsberechtigte nach § 35 AO. Gehilfe einer solchen Unterlassungstat kann dagegen auch sein, wen keine Erklärungspflicht trifft.
2. Ist der Haftungsschuldner in ein Umsatzsteuerhinterziehungssystem integriert, fördert er, wenn er von den in der Lieferkette nachfolgenden oder vorgelagerten Geschäften Kenntnis hatte, mit seinem Beitrag innerhalb der Lieferkette auch jeweils eine Umsatzsteuerhinterziehung der anderen Mitglieder, die an den auf Hinterziehung der Umsatzsteuer gerichteten Geschäften beteiligt waren.
3. Für die Annahme eines Gehilfenvorsatzes ist nicht erforderlich, dass der Gehilfe den Haupttäter kennt. Steht die Begehung der Haupttat fest, genügt es, wenn der Gehilfe weiß, dass es eine Haupttat gibt und er diese durch seine Gehilfenhandlung fördert.
4. Wurden dem missing trader in einem Umsatzsteuerhinterziehungssystem die zur Begleichung der Umsatzsteuerschuld erforderlichen finanziellen Mittel durch die Beteiligten vorsätzlich von vornherein nicht zur Verfügung gestellt, obwohl diese Mittel im System vorhanden waren, ist die Verletzung der Steuererklärungspflicht durch den missing trader trotz dessen Mittellosigkeit für den eingetretenen Schaden des Fiskus kausal.
5. Legt ein Prozessbevollmächtigter das Mandat einen Tag vor der mündlichen Verhandlung nieder, liegt ein erheblicher Grund für eine Verlegung der mündlichen Verhandlung nur vor, wenn der Kläger nachprüfbar darlegt und unaufgefordert glaubhaft macht, dass ihn kein Verschulden an der Mandatsniederlegung trifft.
Normenkette
AO §§ 71, 34 Abs. 1, §§ 35, 191 Abs. 1 S. 1, § 370 Abs. 1 Nrn. 1-2; UStG § 14c Abs. 2; StGB § 25 Abs. 2, § 27 Abs. 1; ZPO § 227
Nachgehend
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheides streitig, mit dem der Beklagte den Kläger für Umsatzsteuerschulden der A GmbH (im Folgenden: A) in Haftung nahm mit der Begründung, diese sei in ein Umsatzsteuerhinterziehungssystem einbezogen gewesen, an dem der Kläger beteiligt gewesen sei.
I.
1. Der Kläger war im Streitjahr 2007 zusammen mit Herrn B Kommanditist der C GmbH & Co. KG mit Sitz in D. Komplementärin war die E GmbH, deren Geschäftsführer der Kläger war. Mit Vertrag vom 15.08.2007 wurde die KG rückwirkend zum ... 2007 in die C GmbH (im Folgenden: C) umgewandelt. Gesellschafter der C wurden die E GmbH und der Kläger, der auch Geschäftsführer wurde. Zum 31.08.2007 schied Herr B aus der C aus.
2. Ferner war der Kläger Gesellschafter-Geschäftsführer der F GmbH & Co. KG (im Folgenden: F) und der G GmbH (im Folgenden: G), beide ebenfalls mit Sitz in D, die zur sog. C -Gruppe gehörten.
II.
1. a) Das Finanzamt für Prüfungsdienste und Strafsachen in Hamburg führte im Auftrag der Staatsanwaltschaft Hamburg Ermittlungen gegen den Kläger und 17 weitere Personen wegen des Verdachts der gemeinschaftlichen Steuerhinterziehung durch organisierte Vorsteuererschleichung in den Jahren 2006 und 2007 durch.
b) Die Staatsanwaltschaft Hamburg erhob am 27.08.2008 Anklage vor dem Landgericht Hamburg gegen den Kläger und die weiteren Beschuldigten H, B, J und K (...). Die Beschuldigten L und M wurden gesondert verfolgt.
2. a) Das Landgericht Hamburg verurteilte den Kläger durch Urteil vom ... 2009 (...) wegen mittäterschaftlich begangener Steuerhinterziehung in 16 Fällen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1 Abgabenordnung (AO), § 25 Abs. 2, § 53 Strafgesetzbuch (StGB) zu sieben Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe, die der Kläger seit Juni 2011 verbüßt.
Nach den Feststellungen des Landgerichts wirkte der Kläger zusammen mit den anderen Angeklagten in den Veranlagungszeiträumen April 2006 bis September 2007 an einem gut organisierten Umsatzsteuerhinterziehungssystem mit, in das die C einbezogen und das ausschließlich auf die Verkürzung der deutschen Umsatzsteuer in einem erheblichen Umfang ausgerichtet war. Insgesamt hätten der Kläger und die anderen Mittäter einen Betrag von rund 10 Mio. € abgeschöpft. Das Hinterziehungssystem habe aus zwei Rechnungsketten bestanden, die als Quer- und Standardgeschäft bezeichnet worden seien.
Das Quergeschäft, in dem es keine tatsächlichen Lieferungen gegeben habe, habe der eigentlichen Umsatzsteuerhinterziehung gedient. Im Quergeschäft hätten die Angeklagten durch die Konstruktion der Rechnungsketten dafür gesorgt, dass die erste deutsche Firma in der Kette, die keine Umsatzsteuererklärungen habe abgeben sollen (der "...