Entscheidungsstichwort (Thema)
Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen einer Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO Beweislast für die Kenntnis nicht aktenkundiger Tatsachen
Leitsatz (amtlich)
Die objektive Beweislast (Feststellungslast) für die tatsächlichen Voraussetzungen einer Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO trägt grundsätzlich das Finanzamt; die Beweislast dafür, dass dem für die Veranlagung des Steuerpflichtigen zuständigen Sachbearbeiter ausnahmsweise auch nicht aktenkundige Tatsachen dienstlich bekannt waren, nach dem Inhalt der zu bearbeitenden Steuererklärung als bekannt zuzurechnen sind oder aufgrund Verletzung der Ermittlungspflicht hätten bekannt seien müssen trägt jedoch der Steuerpflichtige.
Normenkette
AO § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 88
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen Änderungsbescheide, welche die Ergebnisse einer bei ihr durchgeführten Außenprüfung des Beklagten umsetzen.
Die Klägerin betreibt ein Fuhrunternehmen. Mittels Einnahmenüberschussrechnung (EÜR) ermittelte die Klägerin für die Streitjahre 2010 bis 2012 einen steuerpflichtigen Gewinn in Höhe von 4.926 € (2010), 23.654 € (2011) sowie 25.363 € (2012).
Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag für 2010 und 2011 ergingen zunächst erklärungsgemäß. Unter dem Vorbehalt der Nachprüfung standen diese nicht. Für die Streitjahre 2010 und 2011 verarbeitete der Beklagte zudem die Umsatzsteuerjahreserklärung der Klägerin antragsgemäß.
Im Rahmen der Veranlagung für das Streitjahr 2013 stellte der Beklagte aufgrund des der EÜR beigefügten Anlageverzeichnisses fest, dass seit 2010 ein neuer Pkw (Mercedes S 320) im Betriebsvermögen vorhanden, ein Nutzungsanteil für die private Nutzung jedoch nicht erklärt wurde.
Auf Nachfrage erklärte der Bevollmächtigte der Klägerin daraufhin mit Schreiben vom 17. September 2014 einen Bruttolistenpreis i.H.v. 76.100 € und für das Kalenderjahr 2010 ein Hinzurechnungsbetrag i.H.v. 8.171 € (für elf Monate) sowie für die Jahre 2011 und 2012 einen Betrag i.H.v. 9.132 € nach.
Unter Berücksichtigung dieser Werte erließ der Beklagte den Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag für 2012 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und änderte die Bescheide für 2010 und 2011 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO). Dieses Ergebnis übertrug er auch auf die Umsatzsteuer. Die Umsatzsteuerbescheide für 2010 und 2011 änderte er gemäß § 164 Abs. 2 AO, wobei er den Vorbehalt der Nachprüfung nicht aufhob und erließ erstmalig einen Bescheid über Umsatzsteuer für 2012 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
Der Beklagte führte bei der Klägerin für die Streitjahre eine Außenprüfung durch. Der Bericht datiert vom 9. Juni 2016. Unter der Textziffer 14 bzw. 32 würdigte der Betriebsprüfer den im Rahmen der Veranlagung für das Jahr 2013 nacherklärten privaten Nutzungsanteils des neu im Betriebsvermögen aufgenommenen Pkw Mercedes S 320. Ertragsteuerlich stellte er fest, dass die auf den ermittelten Privatanteil entfallende Umsatzsteuer bisher nicht als Betriebseinnahme erfasst worden war. Auch ein Privatanteil für die Wege zwischen Wohnung und Betrieb/Arbeitsstätte sei nicht angesetzt worden. Hinsichtlich der Umsatzsteuer sei hingegen mehr als 80 % des Privatanteils als unentgeltliche Wertabgabe der Umsatzsteuer unterworfen worden, was zugunsten der Klägerin zu ändern sei. Da der Sachverhalt bereits im Rahmen der Veranlagung vom Bevollmächtigten der Klägerin nacherklärt und durch den Beklagten durch gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderte Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag für die Jahre 2010 und 2011 behandelt worden sei, käme eine erneute Änderung dieser Bescheide gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht in Betracht. Zulasten der Klägerin geändert werden könne jedoch der Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag für 2012, da dieser unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gestanden habe. Aus gleichem Grund - zugunsten der Klägerin - geändert werden könnten die Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre.
Die Prüfungsfeststellungen setzte der Beklagte in Änderungsbescheiden vom 20. Juli 2016 über den Gewerbesteuermessbetrag und die Umsatzsteuer um. Dabei änderte er die Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag für 2010 und 2011 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO, die übrigen Bescheide gemäß § 164 Abs. 2 AO, bezogen auf Textziffer 14 bzw. 32 des Prüfungsberichts mit dem von dem Prüfer genannten Einschränkungen aufgrund zuvor erfolgter Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO.
Am 19. August 2016 legte der Bevollmächtigte der Klägerin Einspruch gegen die geänderten Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag und die Umsatzsteuer ein.
Geänderte Bescheide über Einkommensteuer erließ der Beklagte am 5. Oktober 2016.
Mangels Begründung wies der Beklagte die Einsprüche gegen die Gewerbesteuer- und Umsatzsteuerbescheide mit Einspruchsentscheidung vom 23. November 2016 als unbegründet zurück. Das Einspruchsschreiben adressierte er an eine nicht mehr aktuelle Zustelladresse des Bevollmächtigten.
Mit Schreiben vom 9./13. Dezember 2016 wandte sich der Bevollmächtigte der K...