Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Frage der Erkennbarkeit eines Irrtums der Zollbehörde
Leitsatz (amtlich)
Für die Frage der Erkennbarkeit eines Irrtums (hier: fehlende Einfuhrlizenz bei Kontingentzollsatz für gefrorene Hähnchenbrust) im Sinne von Art. 220 Abs. 2 lit. b Zollkodex ist auf den Zeitpunkt der buchmäßigen Erfassung des Abgabenbetrages und nicht auf den Zeitpunkt der Abgabe der Zollanmeldung abzustellen.
Normenkette
EWGV 2913/92 Art. 220 Abs. 2 Buchst. b; ZK Art. 220 Abs. 2 Buchst. b
Nachgehend
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Nacherhebung von Eingangsabgaben.
Am 18.8.1995 ließ die Klägerin bei der Abfertigungsstelle des Hauptzollamts Hamburg-... eine Sendung, bestehend aus 19.467 kg entbeinter, gefrorener Hähnchenbrust der Codenummer 0207 4110 000 0 mit Ursprung in China unter Vorlage eines Ursprungszeugnisses zur Überführung in den freien Verkehr anmelden. Dabei gab sie in Feld 36 der Zollanmeldung den Präferenzcode 200 und in Feld 44 der Zollanmeldung die Nummer des vorgenannten Ursprungszeugnisses an. Am selben Tag wurde die Zollanmeldung angenommen und die Ware nach Beschau überlassen. Daraufhin meldete die Abfertigungsstelle die Sendung zwecks Anrechnung auf das Kontingent an die Zentralstelle Zollkontingente Düsseldorf, wobei sie aufgrund eines Fehlers im Deutschen Gebrauchszolltarif nicht erkannte, dass die Anwendung des Kontingentzollsatzes nach Art. 1 VO Nr. 1431/94 die Vorlage einer Einfuhrlizenz erforderte, die von der Klägerin nicht vorgelegt worden war.
Eine an das Bundesfinanzministerium am 18.8.1995 gerichtete Anfrage hinsichtlich des Zollkontingents führte zur Aufdeckung des Fehlers im Gebrauchszolltarif. Dieser wurde sodann vom Bundesfinanzministerium mit Erlass vom 22.8.1995 korrigiert. Eine Mitarbeiterin eines mit der Klägerin verbundenen Unternehmens, die auch bei der Klägerin für die Zollabfertigung zuständig war, wurde vom Bundesfinanzministerium noch am 22.8.1995 per Fax von dem festgestellten Erfordernis einer Einfuhrlizenz und der erfolgten Berichtigung des Gebrauchszolltarifs unterrichtet.
Offenbar in Unkenntnis dieses Erlasses setzte die Abfertigungszollstelle mit Einfuhrabgabenbescheid vom 24.8.1995 die Einfuhrabgaben unter Gewährung der im Rahmen dieses Kontingents vorgesehenen präferenziellen Zollfreiheit in Höhe von 4.449,87 DM fest.
Mit Steueränderungsbescheid vom 8.2.1996 forderte das damalige Hauptzollamt Hamburg-... die Klägerin gemäß Art. 220 Zollkodex zur Zahlung von Eingangsabgaben in Höhe von 71.130,46 DM auf. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass das Kontingent K ...7 zu Unrecht angewandt worden sei, weil für dieses Kontingent eine Einfuhrlizenz hätte vorgelegt werden müssen.
Mit Schreiben vom 13.2.1996 legte die Klägerin Einspruch ein. Zur Begründung verwies sie darauf, dass die Nacherhebung gegen das sich aus Art. 220 Abs. 2 lit. b Zollkodex ergebende Verbot verstoße. Das Hauptzollamt Hamburg-... habe sich offensichtlich geirrt, indem es die Ware ohne Vorlage einer Einfuhrlizenz zum Kontingent K ...7 abgefertigt habe. Diesen Irrtum habe sie nicht erkennen können. Erst durch das Schreiben des Bundesfinanzministeriums vom 22.8.1995 habe sie, die Klägerin, Kenntnis von dem Fehler im Gebrauchszolltarif erhalten, der zu der irrtümlichen Gewährung des Präferenzzollsatzes geführt habe. Zuvor sei ihr noch bis zum 21.8.1995 von verschiedenen Zollstellen und auch vom Bundesfinanzministerium immer wieder die Auskunft erteilt worden, die Inanspruchnahme des Kontingents sei nicht von der Vorlage einer Einfuhrlizenz abhängig. Für die Frage der Erkennbarkeit des Irrtums sei im Übrigen nicht auf den Zeitpunkt der irrtümlichen Anwendung des Kontingentzollsatzes am 24.8.1995, sondern auf den Zeitpunkt der Zollanmeldung am 18.8.1995 abzustellen.
Das Einspruchsverfahren ruhte zunächst, um eine Entscheidung des Finanzgerichts Bremen in einem vergleichbaren Fall abzuwarten. In der Folge beschäftigte sich auch der Europäische Gerichtshof auf der Grundlage eines vergleichbaren Sachverhalts mit der Frage der Erkennbarkeit des Irrtums. In seinem Urteil vom 3.3.2005 (C-499/03 P) hat er zunächst erkannt, dass Irrtümer der deutschen Zollbehörden vorliegen, hat deren Erkennbarkeit jedoch unter Hinweis auf die Komplexität der entscheidungserheblichen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften verneint. Auf das auch in diesen Fällen ergangene Hinweisschreiben des Bundesfinanzministeriums vom 22.8.1995 ist der Europäische Gerichtshof nicht eingegangen.
Mit Einspruchsentscheidung vom 30.12.2005 wurde der Einspruch der Klägerin zurückgewiesen. Zur Begründung führt der Beklagte zunächst aus, dass unstreitig sei, dass die Vorlage einer Einfuhrlizenz für die Inanspruchnahme des Kontingentszollsatzes erforderlich gewesen wäre und dass die Anwendung des Kontingentszollsatzes insoweit infolge eines Irrtums im Sinne von Art. 220 Abs. 2 lit. b Zollkodex zu Unrecht erfolgt sei. Dieser Irrtum sei jedoch für die Klägerin erkennbar gewesen. Zwar ...