Entscheidungsstichwort (Thema)
Klage kann alleine gegen Einspruchsentscheidung gerichtet sein
Leitsatz (redaktionell)
Ein nicht abgeschlossenes Einspruchsverfahren gegen die Ablehnung eines in der Einspruchsinstanz gestellten Ruhensantrags hindert eine Entscheidung in der Klagesache nicht.
Die isolierte Anfechtung einer Einspruchsentscheidung kann nach Ergehen eines Steueränderungsbescheides weiterverfolgt werden.
Normenkette
AO § 363 Abs. 3, § 365 Abs. 3; FGO § 44 Abs. 2, §§ 68, 74, 155; ZPO § 251; EStG § 10 Abs. 3, § 33c Abs. 1, 3
Tatbestand
Der Beklagte veranlagte die Klägerin für 1990 entsprechend ihrer Steuererklärung mit Bescheid vom 30.06.1992 zur Einkommensteuer. Der Steuerbescheid war gem. § 165 AO teilweise vorläufig hinsichtlich folgender Punkte: Grundfreibetrag, § 32a Abs. 1 EStG Kinderfreibetrag, § 32 Abs. 6 EStG Arbeitnehmer- und Weihnachtsfreibetrag, § 19 EStG Höchstbeträge für Vorsorgeaufwendungen, § 10 Abs. 3 EStG Haushaltsfreibetrag, § 32 Abs. 7 EStG Zumutbare Belastungen bei außergewöhnlichen Belastungen, § 33 Abs. 1 und 3 EStG Außergewöhnliche Belastungen in besonderen Fällen, § 33 a Abs. 1 bis 3 EStG Kinderbetreuungskosten, § 33 c Abs. 1 und 3 EStG.
Außerdem war der Bescheid vorläufig hinsichtlich der Nichtabzugsfähigkeit - im Streitfall nicht erklärter - privater Schuldzinsen.
Die Klägerin erhob gegen den Bescheid Einspruch und rügte die Verfassungswidrigkeit der Regelungen, deretwegen der Bescheid für punktuell vorläufig erklärt worden war, und beantragte, das Einspruchsverfahren ruhen zu lassen. Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 25.04.1994 wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig zurück.
Daraufhin hat die Klägerin Klage erhoben mit dem Klageziel, die Einspruchsentscheidung aufzuheben und das Verfahren an den Beklagten zurückzuverweisen. Sie machte zunächst geltend, dass hinsichtlich der gesetzlichen Regelungen Grundfreibetrag gem. § 32a EStG Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen gem. § 10 EStG Arbeitnehmerfreibetrag gem. § 19 EStG Zumutbare Belastungen gem. § 33 EStG Kinderbetreuungskosten gem. § 33 c EStG verfassungsrechtliche Bedenken bestünden. Der Beklagte habe nicht entscheiden dürfen, sondern hätte das Einspruchsverfahren wie beantragt ruhen lassen müssen (BFH-Urteil vom 16.10.1991, I R 95, 96/90). Die Einspruchsentscheidung sei eine Überraschungsentscheidung gewesen. Die Einspruchsentscheidung sei rechtsfehlerhaft, weil in ihr nicht über den Antrag auf Ruhen entschieden worden sei. Dadurch sei ihr, der Klägerin, die Möglichkeit genommen worden, den Verwaltungsakt über die Ablehnung des Ruhens des Verfahrens mit einem Rechtsmittel anzugreifen und damit das Hauptverfahren gem. § 363 AO bzw. § 74 FGO zum Ruhen zu bringen. Gegen den nicht ausgesprochenen Widerruf des Ruhens des Verfahrens habe sie inzwischen vorsorglich Beschwerde eingelegt.
Außerdem werde sie durch die Verfahrensweise des Beklagten verfahrensmäßig schlechter gestellt. Denn bei einem Ruhen des Verfahrens habe sie die Möglichkeit einer nachträglichen Erweiterung des Einspruches. Wegen der Kompliziertheit des Steuerrechtes entspreche es rechtstaatlichen Grundsätzen, einem Betroffenen möglichst lange die Möglichkeit zu erhalten, seinen Einspruch neu zu überdenken und neu zu formulieren.
Wenn der Steuerpflichtige keine Möglichkeit habe, gegen einen vorläufigen Bescheid Einspruch einzulegen, werde ihm das Risiko der rechtzeitigen Bescheidänderung nach Wegfall der Ungewissheit aufgebürdet. Außerdem könne die Verwaltung durch Nichtanwendungserlasse eine Korrektur durchkreuzen. Der Beschluss des BFH vom 10.11.1993 X B 89/93 sei unrichtig.
Auch ein derzeit fehlerfreier Verwaltungsakt könne befugtermaßen angegriffen werden, "wenn eine günstigere Entwicklung erreicht werden" kann (Bl. 9 FG-Akte). Im Übrigen könnten sich bei kumulativ geltend gemachten geringfügigen anderen Beanstandungen Besteuerungsunterschiede wenn auch minimaler Art ergeben.
Durch das Verfahren der Verwaltung werde der grundgesetzliche Rechtschutz aus-gehebelt. Es sei Sache des Steuerpflichtigen zu entscheiden, ob er mit einer punktuellen Vorläufigkeit zufrieden sei oder Rechtsmittel einlege. Mit einem Vorläufigkeitsvermerk könne ein Verzicht auf ein Rechtschutzinteresse nicht erzwungen werden.
Außerdem werde er verfahrensrechtlich schlechter gestellt. Er verliere die Möglichkeit des vorläufigen Rechtschutzes. Durch die sog. Punktberichtigung nach § 165 Abs. 2 AO werde der Steuerpflichtige schlechter gestellt, weil er in einem solchen Falle Wahlrechte nicht mehr neu ausüben könne; deshalb könne es zu einer für ihn über mehrere Jahre gesehen nachteiligen Verschiebung der Besteuerungsgrundlagen kommen. Auch ein Rechtschutz nach § 46 FGO werde verhindert. Im Übrigen könnten Musterprozesse u.U. aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht zu einer materiellen Entscheidung führen. Falls es dann keine weiteren Rechtsmittel gebe, werde die materielle Rechtsfrage nicht geklärt.
Nach § 164 AO könne die Verwaltung ohne besondere Gründe ...