Revision eingelegt (BFH VII R 34/15)
Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenzrecht und Umsatzsteuer: Aufrechnungsverbot gem. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist es entscheidend, ob zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits alle materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen.
2. Für eine Berichtigung gem. § 14c Abs. 2 in Verbindung mit § 17 Abs. 1 UStG ist eine erforderliche materiell-rechtliche Voraussetzung, dass die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt ist.
Normenkette
UStG §§ 14c, 17; InsO §§ 38, 96
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheides, durch den der Beklagte Insolvenzforderungen aus Umsatzsteuer 2002 gegen Umsatzsteuerguthaben der Schuldnerin aus 2008 aufgerechnet hat.
Über das Vermögen der A ... GmbH (Schuldnerin) wurde aufgrund des Antrags vom 28.11.2002 am ... 2003 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.
Der Beklagte hat unstreitige Ansprüche aus Umsatzsteuervorauszahlungsbescheiden für Oktober bis Dezember 2002 gegen die Schuldnerin von insgesamt 125.997,20 €.
Die Schuldnerin schrieb im Jahr 2002 Rechnungen, in denen sie Umsatzsteuer auswies. Das Finanzamt ging davon aus, dass die Schuldnerin keine Lieferungen erbracht und daher zu Unrecht die Umsatzsteuer ausgewiesen habe und lehnte einen Vorsteuererstattungsanspruch des Rechnungsempfängers ab. Wegen des konkreten Sachverhalts wird auf das im nachfolgenden Klageverfahren ergangene und rechtskräftige Urteil des Finanzgerichts Hamburgs 5 K 74/06 vom 29.04.2008 verwiesen.
Der Kläger berichtigte daraufhin Anfang 2009 die von der Schuldnerin erstellten Rechnungen und beantragte bei dem Beklagten die Berichtigung der Umsatzsteuer gem. § 14c Abs. 2 in Verbindung mit § 17 Abs. 1 Umsatzsteuergesetz (UStG). Dabei ging er zunächst davon aus, dass die Korrektur für 2002 erfolgen müsse. Der Beklagte vertrat die Ansicht, dass die Korrektur erst für den Besteuerungszeitraum 2008 möglich sei. Der Kläger erhob Klage zum Aktenzeichen 6 K 123/10 und nahm nach Durchführung eines Erörterungstermins am 12.12.2011 die Klage zurück.
Im Dezember 2012 reichte der Kläger eine Umsatzsteuererklärung für 2008 ein, in der er die Minderung der Umsatzsteuer wegen der nicht durchgeführten Lieferungen 2002 erklärte. Am 20.06.2014 erging der Umsatzsteuerbescheid 2008, durch den sich ein Restguthaben i. H. v. 646.164,48 € zuzüglich Erstattungszinsen in Höhe von 161.538 € (insgesamt 807.702,48 €) ergab.
Der Beklagte erklärte mit Schreiben vom 03.07.2014 die Aufrechnung seiner Forderungen aus Umsatzsteuer 2002 gegen das Umsatzsteuerguthaben der Schuldnerin aus 2008. Dieser Erklärung widersprach der Kläger am 14.07.2014. Am 25.07.2014 erließ der Beklagte den hier angefochtenen Abrechnungsbescheid.
Am 01.08.2014 legte der Kläger Einspruch ein, welcher durch die Einspruchsentscheidung vom 20.05.2014 unter Hinweis auf ein Schreiben des Beklagten vom 18.02.2015 als unbegründet zurückgewiesen wurde.
Der Kläger hat am 22.06.2015 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, der Abrechnungsbescheid sei rechtswidrig, weil er gegen § 96 Abs. 1 Nr. 1 Insolvenzordnung (InsO) verstoße. Die Forderung der Schuldnerin sei erst in 2008 und damit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden. Zwar habe von Anfang an wegen der Nichtdurchführung von Lieferungen keine Umsatzsteuerpflicht bestanden. Die Schuldnerin habe jedoch wegen des unberechtigten Umsatzsteuerausweises die Umsatzsteuer geschuldet. Nach materiellem Steuerrecht habe diese Umsatzsteuer gem. § 14c Abs. 2 Sätze 3 bis 5 UStG berichtigt werden müssen. Dies sei auch geschehen und habe zu dem entsprechenden Vergütungsanspruch geführt. Damit habe der Vergütungsanspruch zwar seine Grundlage in 2002, er sei aber nicht in 2002, sondern erst in 2008 und damit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden.
Entscheidend für die Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO sei nach der Rechtsprechung des BFH bei Umsatzsteuererstattungsansprüchen wegen Berichtigung des unrichtigen Steuerausweises, wann der materiell-rechtliche Berichtigungstatbestand verwirklicht ist (BFH-Urteil vom 25.07.2012 VII R 29/11, BFHE 238, 307, BStBl II 2013, 36 unter Aufgabe seiner früheren Ansicht). Damit knüpfe der VII. Senat des BFH an die Rechtsprechung des V. Senats an, nach dessen Rechtsprechung es für die Entstehung des Steueranspruchs auf die vollständige Tatbestandsverwirklichung nach den steuerrechtlichen Vorschriften ankomme. Der Beklagte berufe sich für seine Rechtsansicht auf alte Rechtsprechung des VII. Senats des BFH, die nach der Rechtsprechungsänderung vom 25.07.2012 nicht mehr gelte.
Entscheidend sei daher, ob der Erstattungsanspruch der Schuldnerin bereits in 2002 oder erst in 2008 entstanden sei. Materielle Voraussetzungen für die Entstehung des Erstattungsanspruchs seien insbesondere, dass eine Steuerberichtigung durchgeführt und die Gefährdun...