Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgabenordnung: Vorabanforderung von Steuererklärungen
Leitsatz (amtlich)
Die automatisierte Vorabanforderung von Steuererklärungen entgegen dem gleichlautenden Erlass der obersten Finanzbehörden der Länder vom 03.01.2011 (sog. Fristenerlass) und der darin vorgesehenen allgemeinen Fristverlängerung für beratende Steuerpflichtige bis zum 31.12.2011 bedarf - jedenfalls hinsichtlich des Auswahlermessens - einer für den Steuerpflichtigen nachvollziehbaren Begründung.
Normenkette
AO §§ 109, 149
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Aufforderung zur Abgabe von Steuererklärungen.
Mit Schreiben vom 29.04.2011 forderte der Beklagte die steuerlich beratene Klägerin auf, die Erklärungen für das Kalenderjahr 2010 zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte, der Umsatz- sowie der Gewerbesteuer bis zum 01.08.2011 abzugeben. Zur Begründung verwies der Beklagte darauf, dass (zwar) mit dem im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlichten gleichlautenden Erlass der obersten Finanzbehörden der Länder (vgl. Erlass vom 03.01.2011 - 51-S 0320-014/09, BStBl. I 2011, 44 - im Folgenden: Fristenerlass) die gesetzliche Abgabefrist zum 31.05.2011 für Steuerpflichtige, die steuerlich vertreten werden, allgemein auf den 31.12.2011 verlängert worden sei. Die Finanzämter hätten aber gleichwohl die Möglichkeit, Erklärungen mit angemessener Frist für einen Zeitpunkt vor Ablauf der allgemein verlängerten Frist anzufordern. Hiervon solle insbesondere dann Gebrauch gemacht werden, wenn für Beteiligte an Gesellschaften und Gemeinschaften Verluste festzustellen seien, wenn hohe Abschlusszahlungen erwartet würden oder wenn die Arbeitslage der Finanzämter es erfordere. Es sei bekannt, dass die Einhaltung dieser Frist nicht immer leicht falle. Der rechtzeitige Abschluss des jährlichen Steuerfestsetzungsverfahrens erfordere es (aber), dass ein Teil der Steuererklärungen bis zum Ablauf der gesetzten Frist eingehe. Es werde um Verständnis gebeten, dass eine Fristverlängerung deshalb nur in ganz besonderen Ausnahmefällen bei Vorliegen wichtiger Gründe gewährt werden könne.
Dagegen legte die Klägerin am 06.05.2011 Einspruch ein. Sie machte im Wesentlichen geltend, dass der Beklagte die Ermessensentscheidung, die der Anforderung der Steuererklärungen vor Ablauf der allgemein verlängerten Frist zugrunde liege, entgegen § 121 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) nicht hinreichend begründet habe. Das Schreiben des Beklagten vom 29.04.2011 lasse eine individuelle Interessenabwägung nicht erkennen. Warum gerade der betroffene Steuerpflichtige bzw. dessen Steuerberater für die Anforderung der Steuererklärungen vor Ablauf der allgemein verlängerten Frist ausgewählt worden sei, könne nicht nachvollzogen werden. Eine Auseinandersetzung mit den Gründen für die vorzeitige Anforderung sei so nicht möglich. Soweit der Beklagte beabsichtige, hier gemäß § 126 Abs. 1 Nr. 2 AO nachzubessern, werde um eine Frist zur weitergehenden Stellungnahme nach § 91 Abs. 1 Satz 1 AO gebeten.
Mit Entscheidung vom 03.06.2011 verwarf der Beklagte den Einspruch der Klägerin als unzulässig und begründete dies damit, dass die Klägerin durch den Bescheid vom 29.04.2011 nicht beschwert sei. Die Aufforderung, die Steuererklärungen für das Kalenderjahr 2010 bis zum 01.08.2011 abzugeben, stelle eine auf § 109 AO gestützte Verlängerung der gesetzlichen Abgabefrist dar. Es handle sich um einen verfahrensrechtlich den Steuerpflichtigen begünstigenden Verwaltungsakt, nicht um die Ablehnung eines (nicht gestellten) Fristverlängerungsantrags.
Die Klägerin hat am 05.07.2011 Klage erhoben. Sie hat ergänzend vorgetragen, dass sie durch die einzelfallbezogene Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärungen vor Ablauf der allgemein verlängerten Frist beschwert sei; denn durch die Aufforderung verändere sich die durch den Fristenerlass geschaffene Rechtslage zu ihrem Nachteil. Zudem müsse jede einzelfallbezogene Ermessensentscheidung begründet werden. Auch sei weder aus dem Anforderungsschreiben noch aus der Einspruchsentscheidung ersichtlich, dass eine Ermessensentscheidung überhaupt stattgefunden habe. Ferner lägen dem Beklagten aus dem Büro des Bevollmächtigten der Kläger in ausreichender Zahl unaufgefordert und vorfällig abgegebene und zum Teil noch unbearbeitete Steuererklärungen vor (nach überschlägiger Durchsicht vorzugsweise in Erstattungsfällen).
Die Klägerin hat zudem bei Gericht beantragt, die Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärung für 2010 vom 29.04.2011 von der Vollziehung auszusetzen. Das Gericht hat den Streitfall mit den Beteiligten erörtert. Im Rahmen des Erörterungstermins hat der Bevollmächtigte der Klägerin zugesagt, die ausstehenden Erklärungen noch vor Jahresende vorzulegen. Der Beklagte hat erklärt, dass bei Erklärungseingang bis zum 31.12.2011 keine Verspätungszuschläge erhoben würden. Die Beteiligten haben daraufhin den Rechtsstreit im Hinblick auf den gestellten Aussetzungsantrag für erledigt erklärt. Auf den Hinweis des...