rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Beweislast nach § 122 Abs. 2 AO bei durch den Adressaten veränderter Postzustellpraxis
Leitsatz (amtlich)
Die gegenüber der Behörde nicht bekanntgegebene, zwischen dem Empfänger und dem Briefbeförderungsunternehmen verbindlich vereinbarte Auslieferung der Post an eine andere Zustelladresse, als die originäre Empfängeranschrift, führt bei nachweislich langjähriger und problemloser Durchführung der geänderten Postzustellpraxis bei Zweifeln über den Zugang eines Verwaltungsakts grundsätzlich nicht zu einer Umkehr der Beweislast gemäß § 122 Abs. 2 AO.
Die Behörde kann den Nachweis über den Zugang eines schriftlichen Verwaltungsaktes nach § 122 Abs. 2 AO nicht nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises führen. Mit der Aufgabe zur Post ist der Zugang beim Empfänger nicht erwiesen. Bestreitet dieser den Verwaltungsakt erhalten zu haben, muss die Behörde den Zugang beweisen.
Mit der nochmaligen Übersendung einer ausdrücklich als solche gekennzeichneten und nicht neu datierten Kopie eines Bescheides nach Bestreiten des Zugangs durch den Adressaten bringt die Behörde regelmäßig zum Ausdruck, hiermit nicht die Rechtsfolgen einer erneuten Bekanntgabe auslösen zu wollen. Die Behörde hat insoweit mithin keinen Bekanntgabewillen.
Gegen nichtige und Nichtverwaltungsakte ist (auch) die Anfechtungsklage statthaft. Dies gilt erst recht, wenn sich die mangelnde Rechtswirksamkeit erst im Rahmen des Klageverfahrens herausstellt.
Normenkette
AO § 122 Abs. 2, § 124 Abs. 1 S. 1; FGO § 76 Abs. 1 S. 1, §§ 81, 96 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob ein die Festsetzung von Kindergeld aufhebender und das gezahlte Kindergeld zurückfordernder Bescheid wirksam bekanntgegeben wurde. Soweit dies der Fall ist, ist weiter streitig, ob der Klägerin (-Kl-) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist zu gewähren ist.
Die Kl ist als beamtete Lehrerin bei der F in Vollzeit beschäftigt. Die Beklagte (-Bekl-) ist die zuständige Familienkasse im Sinne des § 72 Abs. 1 Satz Nr. 1, Satz 2 EStG.
Die Kl hat vier Kinder, für die zu ihren Gunsten als Berechtigte von der Bekl laufend Kindergeld festgesetzt wurde. Hinsichtlich der im Streitzeitraum volljährigen Kinder L (geb. ...1980) und J (geb. ...1984) forderte die Bekl die Kl mit Schreiben jeweils vom 23.04.2006 unter Beifügung entsprechender Vordrucke auf, die zur Überprüfung der Voraussetzungen zur Zahlung von Kindergeld und/oder kinderbezogenen Bezügebestandteile erforderlichen Angaben zu machen und durch Übersendung von Unterlagen, insbesondere über Fortdauer der Ausbildung und eigene Einkünfte und Bezüge der Kinder, zu belegen. Als seitens der Kl hierauf keine Rückmeldung erfolgte, erinnerte die Bekl an die Aufforderung durch Schreiben jeweils vom 26.06.2006 und setzte eine Frist von einem weiteren Monat. Zugleich wies sie darauf hin, bei Nichteingang der erforderlichen Unterlagen bis zu dem gesetzten Termin werde sie davon ausgehen, dass die anspruchsbegründenden Tatsachen für eine Kindergeldgewährung nicht vorlägen und der Anspruch auf Kindergeld unter Umständen auch für vorangegangene Zeiträume entfallen könne und bereits ausgezahlte Leistungen entsprechend zurückzufordern seien.
Auch hierauf erfolgte keine Reaktion der Kl. Am 30.08.2006 verfügte die Bekl daher die vorläufige Zahlungseinstellung des Kindergeldes für die in Rede stehenden Kinder mit Ablauf des Monats September 2006.
Durch Bescheide vom 30.08.2006 und 31.08.2006 hob die Bekl die laufenden Kindergeldfestsetzungen für die Kinder L und J vom 09.07.2004 unter Hinweis auf die unbeantwortet gebliebenen Aufforderungsschreiben vom 23.04. und 26.06.2006 und fehlenden Nachweise rückwirkend ab dem 01.10.2004 auf. Bis jeweils 30.09.2004 lagen der Bekl Immatrikulationsbescheinigungen der betreffenden Kinder vor. Für die Zeit vom 01.10.2004 bis 30.09.2006 errechnete die Bekl Erstattungsbeträge von EUR 3.696,00 (L) und EUR 3.946,00 (J) und teilte der Kl deren sofortige Fälligkeit in voller Höhe gemäß § 37 Abs. 2 Abgabenordnung (-AO-) mit. Die Kl wurde zudem darauf hingewiesen, dass die genannten Beträge unter Beachtung der Pfändungsfreigrenzen mit dem Anspruch der Kl auf Besoldung aufgerechnet werden. Die Bescheide enthielten ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrungen und wurden am 01.09.2006 zur Post gegeben.
Mit Schreiben jeweils vom 12.10.2006 wandte sich die Bekl mit Aufrechnungsersuchen an den zuständigen Geschäftsbereich Pfändungssachbearbeitung des Zentrums für Personaldienste der F und bat hinsichtlich der Kindergeldrückforderungsbeträge um Einbehaltung von den Bezügen der Kl im zulässigen Rahmen. Mit weiterem Schreiben vom 12.10.2006 teilte die Bekl der für die Kl zuständigen Personalabteilung der Behörde für Bildung und Sport mit, dass für die Kl kein Anspruch auf Kindergeld für den Zeitraum 01.10.2004 bis 30.09.2006 bestehe und damit die Voraussetzungen für kindergeldbezogene Bezügebestandteile nicht mehr vorlägen. Die Feststellung der Überzahlung u...