Entscheidungsstichwort (Thema)
EuGH-Vorlage: Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit durch Nachweispflichten der Bescheinigung einer ausländischen Steuerbehörde zur Kapitalertragsteuer-Anrechnung bzw. -Erstattung
Leitsatz (redaktionell)
1) Steht Art. 63 AEUV (ex-Art. 56 EGV) einer nationalen Steuervorschrift wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegen, die von einer im Ausland ansässigen Gesellschaft, die Dividenden aus Beteiligungen bezieht und nicht die Mindestbeteiligung gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/435 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (in der durch die Richtlinie 2003/123 geänderten Fassung) erreicht, zum Zwecke der Erstattung der Kapitalertragsteuer den Nachweis durch Bescheinigung der ausländischen Steuerverwaltung verlangt, dass die Kapitalertragsteuer nicht bei ihr oder einem unmittelbar oder mittelbar an ihr beteiligten Anteilseigner angerechnet oder als Betriebsausgabe oder als Werbungskosten abgezogen werden kann und inwieweit eine Anrechnung, ein Abzug oder Vortrag auch tatsächlich nicht erfolgt ist, wenn von einer im Inland ansässigen Gesellschaft bei gleicher Beteiligungshöhe zum Zwecke der Erstattung der Kapitalertragsteuer ein solcher Nachweis nicht gefordert wird?
2) Für den Fall, dass die Frage zu I. verneint werden sollte: Stehen der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Prinzip des Effet utile dem Erfordernis der in der Frage zu I. genannten Bescheinigung entgegen, wenn es dem im Ausland ansässigen Bezieher von Dividenden aus sog. Streubesitzanteilen faktisch unmöglich ist, diese Bescheinigung beizubringen?
Normenkette
KStG § 32 Abs. 5; EStG § 50d; EWGRL 435/90 Art. 3 Abs. 2 Buchst. a); AEUV Art. 63
Nachgehend
Tatbestand
A.
I. Sachverhalt
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin in den Streitjahren 2006-2008 im Hinblick auf sog. Streubesitzdividenden ein Anspruch auf Kapitalertragsteuererstattung gemäß § 32 Abs. 5 KStG zusteht.
Die Klägerin ist eine in Großbritannien ansässige Kapitalgesellschaft, die in den Streitjahren 2006, 2007 und 2008 zu 5,26 % am Nennkapital der Z GmbH in Y, beteiligt war. 100%iger Anteilseigner der Klägerin ist die X Co. Ltd., eine börsennotierte Gesellschaft. Wegen der Struktur der X Gruppe wird auf das Organigramm in der Verwaltungsakte des Beklagten (Bl. 196) Bezug genommen. Die Klägerin hat in den Streitjahren Gewinnausschüttungen von der Z GmbH erhalten. Für diese Gewinnausschüttungen hat die Z GmbH Kapitalertragsteuer i.H.v. 20 % zuzüglich Solidaritätszuschlag i.H.v. 5,5 % einbehalten und abgeführt.
Mit Antrag vom 29. Dezember 2009 begehrte die Klägerin die Erstattung der einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragsteuer zzgl. SolZ für die Streitjahre 2006 bis 2008. Der Antrag ging am 30. Dezember 2009 beim Finanzamt Y und am 31. Dezember 2009 beim Beklagten ein. Der Antrag wurde für jedes Streitjahr jeweils in zwei Teile aufgeteilt. Insoweit waren dem Antrag entsprechend ausgefüllte Antragsvordrucke beigefügt. Den einen Teil der Anträge stützte die Klägerin jeweils auf § 50d Abs. 1 EStG i.V.m. Art. VI Abs. 1 DBA-GB, da das DBA-GB den Quellensteuersatz auf 15 % begrenzt. Den anderen Teil stützte sie hinsichtlich der Erstattung der verbleibenden Kapitalertragsteuer auf die Grundfreiheiten des EG-Vertrags bzw. AEUV (später umgesetzt durch § 32 Abs. 5 KStG in der Fassung des Umsetzungsgesetzes des EuGH-Urteils vom 20. Oktober 2011, C-284/09).
Mit Bescheid vom 7. Oktober 2010 entschied der Beklagte über die auf § 50d Abs. 1 EStG i.V.m. Art. VI Abs. 1 DBA-GB gestützten Anträge und gewährte insoweit eine antragsgemäße Erstattung der Kapitalertragsteuer zzgl. SolZ.
Mit Bescheiden vom 8. Juni 2015 lehnte der Beklagte unter Bezugnahme auf den Antrag vom 31. Dezember 2009 die Freistellung und Erstattung von deutschen Abzugsteuern vom Kapitalertrag im Übrigen gemäß § 32 Abs. 5 KStG für die Streitjahre ab. Gegen diese Bescheide legte die Klägerin fristgemäß Einspruch ein. Mit Einspruchsentscheidungen vom 22. Januar 2016 wurden die Einsprüche als unbegründet zurückgewiesen.
Übersicht:
|
2006 |
2007 |
2008 |
Zufluss-Zeitpunkt |
19.06. |
29.09. |
19.03. |
22.03. |
04.03. |
18.07. |
22.10. |
Höhe Kapitalertrag € |
318.934,84 |
36.820,00 |
26.300,00 |
15.780,00 |
26.300,00 |
18.410,00 |
28.930,00 |
Einbeh. KapESt € |
63.787,00 |
7.364,00 |
5.260,00 |
3.156,00 |
5.260,00 |
3.682,00 |
5.786,00 |
Einbeh. SolZ € |
3.508,25 |
405,02 |
289,30 |
173,58 |
289,30 |
202,51 |
318,23 |
Einbeh. Summe € |
67.295,25 |
7.769,02 |
5.549,30 |
3.329,58 |
5.549,30 |
3.884,51 |
6.104,23 |
DBA-Erstattung gem. § 50d EStG € |
19.455,03 |
2.246,02 |
1.604,30 |
962,58 |
1.604,30 |
1.123,01 |
1.764,73 |
Str. Erstattung gem. § 32 Abs. 5 KStG € |
47.840,22 |
5.523,00 |
3.945,00 |
2.367,00 |
3.945,00 |
2.761,50 |
4.339,50 |
Streitige Erstattung, § 32 Abs. 5 KStG / Jahr |
53.636,22 € |
6.312,00 € |
11.046,00 € |
Daraufhin erhob die Klägerin fristgemäß Klage.
Vortrag der Klägerin
Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin vor, dass die Nachweise i.S.d. § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 ...