Entscheidungsstichwort (Thema)
Erwerbsbedingt notwendige Kinderbetreuungskosten sind Werbungskosten
Leitsatz (redaktionell)
1) Erwerbsbedingt notwendige Kinderbetreuungskosten sind bei verfassungskonformer Auslegung Werbungskosten.
2) Aus der Rechtsprechung des BVerfG folgt, dass die Berücksichtigung erwerbsbedingter Kinderbetreuungskosten im Hinblick auf das Gebot der horizontalen Steuergerechtigkeit sowie auf das Benachteiligungsverbot aus Art. 6 Abs. 1 GG nicht an dem allgemein einfachgesetzlichen Abzugsverbot des § 12 Nr. 1 EStG scheitern darf.
3) Der Betreuungsfreibetrag gemäß § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG 2000/01 ist untrennbar aufgegangen in einem Gesamtfreibetrag, dem Familienleistungsausgleich, der alternativ zum Kindergeld gewährt wird und mit dem der Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarf als Bestandteil des familiären Existenzminimums von der Besteuerung freigestellt ist.
4) Der Betreuungsfreibetrag gemäß § 32 Abs. 6 EStG 2000/01 ist auf die abzugsfähigen Kinderbetreuungskosten nicht anzurechnen.
Normenkette
EStG § 12 Nr. 1 S. 2, § 32 Abs. 6 S. 1, § 33c; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1; EStG § 9 Abs. 1 S. 1
Nachgehend
Tatbestand
Die Klägerin war im Streitjahr 2001 verheiratet. Sie und ihr Ehemann waren nichtselbständig tätig und wurden zusammen veranlagt. Die Klägerin war Beamtin, ihr Ehemann war Maschinenbautechniker. Die Klägerin erzielte im Rahmen einer Teilzeittätigkeit einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 38.234,– DM, ihr Ehemann erzielte im Rahmen einer Vollzeittätigkeit einen Bruttoarbeitslohn von 136.269,– DM.
Zum Haushalt der Klägerin und ihres Ehemannes gehörten im Streitjahr zwei am 01.01.1988 und am 05.07.1995 geborene Kinder. Mit Einkommensteuererklärung 2001 machten die Klägerin und ihr Ehemann bei ihren Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit Kinderbetreuungskosten in Höhe von jeweils 2.186,– DM (4.372,– DM) geltend.
Mit Einkommensteuerbescheid 2001 vom 17.07.2002 anerkannte der Beklagte die für Kinderbetreuungskosten geltend gemachten Aufwendungen nicht als Werbungskosten und teilte mit, mit den in dem Einkommensteuerbescheid zum Abzug gebrachten Kinderfreibeträgen in Höhe von insgesamt 19.872,– DM (je Kind 9.936,– DM) seien die Aufwendungen für die Kinderbetreuung abgegolten.
Gegen den Einkommensteuerbescheid 2001 legten die Klägerin und ihr Ehemann Einspruch ein, den sie damit begründeten, dass die Kinderbetreuungskosten als Werbungskosten zu berücksichtigen seien.
Der Beklagte erwiderte mit Schreiben vom 29.07.2002, Aufwendungen für die Betreuung von Kindern stellten Kosten der Lebensführung dar und seien demzufolge nicht als Werbungskosten oder Betriebsausgaben abzugsfähig. Dies gelte nach ständiger Rechtsprechung auch dann, wenn die Betreuungskosten unerlässliche Voraussetzung für die Berufstätigkeit eines Elternteils seien (BFH-Urteile vom 09.11.1982, BStBl II 1983, 297, vom 05.12.1997, BStBl II 1998, 211 und vom 02.12.1998, BFH/NV 1999, 1213). Eine andere Beurteilung sei auch verfassungsrechtlich nicht geboten (Beschluss des BVerfG vom 11.10.1977, BStBl lI 1978, 174 und vom 21.07.1988 I BvR 1189/87, HFR 1989, 108). Insbesondere aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10.11.1998, BStBl II 1999, 182, ergebe sich keine andere rechtliche Beurteilung. Das Bundesverfassungsgericht habe den Gesetzgeber aufgefordert, bei der Neuregelung der einkommensteuerrechtlichen Verschonung des Betreuungsbedarfs eine gleiche betreuungsbedingte Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit bei allen Eltern zu berücksichtigen unabhängig von der Art der Betreuung und von konkreten Aufwendungen und dementsprechend den Kinderfreibetrag oder das Kindergeld zu erhöhen. Dieser Aufforderung sei der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Familienförderung vom 22.12.1999 (BStBl I 2000, 4) nachgekommen. Die Klägerin und ihr Ehemann erwiderten, die bisherige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur Nichtabzugsfähigkeit von Kinderbetreuungskosten als Betriebsausgaben oder Werbungskosten bei beiderseits berufstätigen Eltern verstoße gegen Artikel 3 und 6 des Grundgesetzes. Auch liege ein Verstoß gegen die EG-Richtlinie 76/207/EWG vom 09.02.1976 (Verwirklichung des Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg) vor. Danach dürften einer berufstätigen Frau und Mutter von betreuungsbedürftigen Kindern keine erheblichen Nachteile für ihr Berufsleben entstehen. Über die Richtlinie 76/207 sei der deutsche Gesetzgeber verpflichtet, diesbezügliche Diskriminierungen abzustellen. Auch die Gerichte einschließlich des Bundesverfassungsgerichts hätten die Grundsätze der Richtlinie zu beachten und umzusetzen. Die Nichtbeachtung des Veranlassungsprinzips und die fehlende Subsumtion der berufsbedingten Kinderbetreuungskosten unter die §§ 4, 9 EStG durch den Bundesfinanzhof und das Bundesverfassungsgericht widersprächen der EG-Richtlinie. Es sei offensichtlich, dass die pr...