Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässige Klage nach Ablauf des Freistellungszeitraums
Leitsatz (redaktionell)
1) Eine Freistellungsbescheinigung nach § 50d Abs. 2 EStG wird mit Ablauf des Freistellungszeitraums gegenstandslos. Eine auf Erteilung der Bescheinigung gerichtete Klage wird - ohne Verstoß gegen das Gebot zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes - unzulässig.
2) Für einen Übergang zu einer Fortsetzungsfeststellungsklage fehlt es in der Regel an einem Feststellungsinteresse.
Normenkette
GG Art. 19 Abs. 4; FGO § 100 Abs. 1 S. 4; EStG § 50d Abs. 2
Nachgehend
BFH (Beschluss vom 22.09.2015; Aktenzeichen I B 119/14) |
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin einen Anspruch auf die Erteilung einer Freistellungsbescheinigung hat. Dabei ist unter anderem fraglich, ob das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin gegeben ist.
Die Klägerin ist eine in den Niederlanden ansässige Holdinggesellschaft. Die Anteile an der Klägerin werden zu gleichen Teilen von drei natürlichen Personen gehalten, die in den Niederlanden ansässig sind.
Die Klägerin hält Anteile an sieben Tochtergesellschaften, die in den Niederlanden, Deutschland, Frankreich und Italien ansässig sind. U.a. ist sie zu 100 % an der A GmbH, in B, beteiligt. Die Klägerin nimmt nach eigenen Angaben geschäftsleitende Funktionen gegenüber ihren Tochtergesellschaften wahr.
An der Sitzadresse der Klägerin residieren auch ihre niederländischen Tochtergesellschaften. Eigentümerin der Räumlichkeiten ist die A1 BV, auf deren Personal und Kommunikationsmittel die Klägerin nach eigenen Angaben in Ermangelung eigener Ressourcen für ihre Tätigkeiten zurückgreift.
Mit Antrag vom 27. Oktober 2009 (Posteingangsdatum: 29. Oktober 2009) begehrte sie die Erteilung einer Freistellungsbescheinigung gemäß § 50d Abs. 2 EStG i.V.m. § 43b EStG für Vergütungen, die sie von der A GmbH erhält. Als Zeitpunkt, ab dem die Freistellung beantragt wird, gab die Klägerin den 1. Oktober 2009 an.
Mit Bescheid vom 28. Juni 2011 wurde der Antrag mangels Vorlage von angeforderten Unterlagen im Hinblick auf § 50d Abs. 3 EStG abgelehnt.
Hiergegen legte die Klägerin fristgemäß Einspruch ein. Im Laufe des Einspruchsverfahrens wurde am 23. Dezember 2011 unter Änderung des Ablehnungsbescheides eine Freistellungsbescheinigung erlassen, wonach die Schuldnerin nach § 43b EStG berechtigt ist, den Steuerabzug für die näher bezeichneten Kapitalerträge i.H.v. 15 % des Bruttoertrages vorzunehmen.
Mit Einspruchsentscheidung vom 14. Juni 2012 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.
Im Zeitraum von Oktober 2009 bis Oktober 2012 hat die A GmbH keine Gewinne an die Klägerin ausgeschüttet.
Zur Begründung ihrer fristgemäß erhobenen Klage trägt die Klägerin vor, dass sie als gemeinsame Muttergesellschaft der gewerblich tätigen in- und ausländischen Tochtergesellschaften der Durchführung und Sicherstellung der betriebswirtschaftlich erforderlichen bzw. zweckmäßigen einheitlichen Geschäftspolitik diene, wodurch die Rentabilität sämtlicher Tochtergesellschaften und damit die Gesamtgruppe wesentlich gefördert werde.
Die Klage sei zulässig, sie verfüge über das notwendige allgemeine Rechtsschutzbedürfnis für eine Verpflichtungsklage.
Würde die gegenteilige Auffassung des Beklagten zutreffend sein, wäre es unmöglich, gegen die Ablehnung einer nach § 50d Abs. 2 EStG beantragten Freistellungsbescheinigung rechtlich wirksam vorzugehen. Die Dauer des Antrags-, Einspruchs- und des Klageverfahrens übersteige nämlich zwangsläufig die maximale Geltungsdauer der Freistellungsbescheinigung von drei Jahren (§ 50d Abs. 2 Satz 4 EStG). Nach der Auffassung des Beklagten würde daher jede Klage gegen eine Ablehnung der Freistellungsbescheinigung im Laufe des Verfahrens unzulässig werden. Dies widerspräche dem Grundsatz der Gewährung effektiven Rechtsschutzes. Denn dies würde „faktisch” zu einem unzulässigen Ausschluss des Rechtswegs führen.
Entgegen der Auffassung des Beklagten könne dem Rechtsschutzbedürfnis nicht entgegenstehen, dass während des streitigen Zeitraums weder eine Dividende ausgeschüttet noch Kapitalertragsteuer abgeführt worden sei. Sinn und Zweck der beantragten Freistellungsbescheinigung sei nämlich, dass der Schuldner der Dividende den Abzug und die Abführung der Kapitalertragsteuer unterlassen könne (§ 50d Abs. 2 Satz 1 EStG). Nach diesem Sinn und Zweck sei es selbstverständlich, dass erst dann eine Gewinnausschüttung beschlossen bzw. vorgenommen werde, wenn die für die Unterlassung des Abzugs bzw. der Abführung der Kapitalertragsteuer vorgeschriebene Freistellungsbescheinigung vorliege.
Soweit der Beklagte einwende, dass das Grundrecht auf einen effektiven Rechtsschutz nicht verletzt sei, da die Überprüfung des § 50d Abs. 3 EStG auch im Rahmen eines Erstattungsantrags gemäß § 50d Abs. 1 EStG erfolgen könne, sei dem entgegenzuhalten, dass nicht feststehe, dass über die Freistellung und über die Rückerstattung in einheitlichem Sinne zu entscheiden sei, und zwar insbesondere deshalb nicht, weil die Vorauss...