Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Hinzuschätzungen bei ordnungsgemäßer Buchführung und keinem Anlass zu Zweifeln an deren sachlichen Richtigkeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Für die formelle Ordnungsmäßigkeit der Buchführung ist das Gesamtbild aller Umstände im Einzelfall maßgebend.
2. Eine Pflicht zur Einzelaufzeichnung besteht aus Zumutbarkeitsgründen beim Verkauf von Waren an eine Vielzahl von nicht bekannten Kunden gegen Barzahlung nur, wenn der Steuerpflichtige eine elektronische Kasse verwendet.
3. Der Steuerpflichtige ist in der Wahl des Aufzeichnungsmittels frei und kann entscheiden, ob er seine Warenverkäufe manuell oder etwa mittels einer Registrierkasse erfasst.
4. Wenn der Steuerpflichtige eine vorhandene Registrierkasse in Veranlagungszeiträumen vor 2020 nur hilfsweise zur Überprüfung der Korrektheit seiner manuellen Aufzeichnungen, aber nicht als maßgebliches Instrument seiner Kassenbuchführung genutzt hat und aus Zumutbarkeitsgründen keine Einzelaufzeichnungspflicht besteht, dann müssen die Bareinnahmen zumindest anhand eines Kassenberichts nachgewiesen werden, wobei jeweils vom gezählten Kassenendbestand bei Geschäftsschluss des Vortages auszugehen ist.
5. Die Vermutung der sachlichen Richtigkeit einer formell ordnungsgemäßen Buchführung kann durch eine Nachkalkulation widerlegt werden.
Normenkette
AO §§ 146, 158, 162; FGO § 96 Abs. 1 S. 1; EGAO Art. 97 § 30 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob die vom Kläger in den Jahren 2015 bis 2017 (Streitjahre) praktizierte Kassenbuchführung den Beklagten berechtigt, den erklärten Gewinn des Klägers aus Gewerbebetrieb um eine Hinzuschätzung von jeweils 500 € pro Jahr zu erhöhen.
Der Kläger wurde für die Streitjahre zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger führte in einer Fußgängerzone in Z unter der Bezeichnung „… Z” ein Einzelhandelsgeschäft mit …. Personal beschäftigte der Kläger nicht. Er ermittelte seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich. Bei der laufenden Buchführung und der Anfertigung der Jahresabschlüsse wirkte der Prozessbevollmächtigte mit.
Im Ladenlokal befand sich eine elektronische Registrierkasse der Firma Casio vom Typ CE-6100 nebst Bedienungsanleitung. Nach Angaben des Klägers hatte er keine Dokumentation über deren Programmierung. Der Kassenaufsteller sei letztmalig anlässlich der Einführung des Euro vor Ort gewesen und habe die Kasse entsprechend umgestellt, auch darüber habe er, der Kläger, kein Protokoll. Der Kläger verfügte ferner über ein Kartenlesegerät für Kunden, die mit einer Girocard oder über Maestro zahlen wollten. Der Kläger hatte für sein Geschäft ein Konto bei der X-Bank, auf das er Bargeldbeträge einzahlte und auf das die mittels einer Karte erzielten Einnahmen überwiesen wurden.
In der Betriebsprüfungsakte sind aus jedem Streitjahr Kopien der Unterlagen einiger aufeinander folgender Tagesabschlüsse abgeheftet, nämlich für den 27.6.2015 bis 30.6.2015, 28.1.2016 bis 30.1.2016 und 29.12.2017 bis 30.12.2017. Diese seien hier beispielhaft für den 29.12.2017 dargestellt. Danach erstellte der Kläger am Ende dieses Geschäftstages um 18:09 Uhr zunächst mit dem Kartenlesegerät einen als Händlerbeleg überschriebenen Kassenschnitt der für Girocard 8 Vorgänge mit einer Summe von 638,40 € ausweist. Um 18:47 Uhr erzeugte der Kläger mit der Kasse den Z-Bon 5364, in dem 128 Vorgänge mit einer Summe von 2.864,40 € ausgewiesen werden, von denen 2.226 € in bar und 638,40 € per EC-Karte vereinnahmt wurden. Aufgeschlüsselt sind auf dem Z-Bon ferner Anzahl und Summen der Einnahmen für bestimmte Warengruppen wie ….
Außerdem führte der Kläger ein gebundenes Kassenbuch, in dem für den 29.12.2017 der Kassenbericht 5164 angefertigt wurde. Er ist retrograd aufgebaut, beginnt also mit dem Kassenbestand bei Geschäftsschluss von 483,99 €. Der Kassenbericht soll die Ausgaben im Laufe des Tages für Wareneinkäufe, Geschäftsausgaben, Privatentnahmen und sonstige Ausgaben dokumentieren. Für den 29.12.2017 sind bei den sonstigen Ausgaben mit dem Zusatz „Bank” 2.000,– eingetragen. Von der rechnerisch ermittelten Summe 2.483,99 wurde der Kassenbestand des Vortages von 257,99 abgezogen, wodurch sich ein Kasseneingang von 2.226,– € ergab, der am Ende des Kassenberichts in gleicher Höhe nochmals als Einnahmen (Tageslosung) ausgewiesen ist. Der Kassenbericht wurde vom Kläger unterschrieben und erhält einen Stempel „GEBUCHT 8. JAN. 2018”. Schriftliche Unterlagen über die Art der Ermittlung der tatsächlichen Kassenbestände existieren nicht. Die 483,99 € Kassenbestand bei Geschäftsschluss am 29.12.2017 finden sich im Kassenbericht 5165 vom 30.12.2017 als Kassenbestand des Vortages. Der Kassenbestand am Schluss des 30.12.2017 (Samstag) von 438,94 € wurde in die Bilanz zum 31.12.2017 übernommen. Die täglichen Einnahmen des Klägers wurden in der Buchführung des Klägers durch den Prozessbevollmächtigten zu Beginn des nachfolgenden Monats aufgezeichnet.
Für den Einsatz elektronischer Registrierkassen enthielt bereits das BMF-Schreiben vom 9.1.1996 ...