Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldfestsetzung; Korrektur
Leitsatz (redaktionell)
Im Rahmen der Kindergeldfestsetzung eröffnet § 70 Abs. 4 EStG stets eine Berichtigungsmöglichkeit, soweit die abschließende Überprüfung nach Ablauf des Jahres ein Unter- oder Überschreiten des Grenzbetrages abweichend von der Prognoseentscheidung ergibt. Dies gilt auch dann, wenn die Korrektur auf einer geänderten Rechtsauffassung beruht.
Normenkette
EStG § 70 Abs. 4, § 32 Abs. 4 S. 2
Tatbestand
Die Beteiligten streiten nach Rücknahme der Klage für die Monate Januar bis Dezember 2004 jetzt noch darüber, ob die Bestandskraft einer Erstablehnung die Festsetzung von Kindergeld für die Monate Januar bis April 2005 hindert.
Der Kläger hatte im Dezember 2003 Kindergeld für seine im Oktober 1983 geborene Tochter B beantragt, die seit September 2002 eine Ausbildung als Industriekauffrau absolvierte. Die Einnahmen von B ermittelte die Beklagte im Rahmen der Prognoseentscheidung mit 10.554 EUR, die Werbungskosten mit 2.046 EUR (Kindergeld-Akte, Bl 95). Die Kindergeldfestsetzung wurde deshalb mit Bescheid vom 12. Februar 2004 abgelehnt, weil die Einkünfte und Bezüge von B nach der damaligen Ansicht der Beklagten, nach der die Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung unberücksichtigt blieben, den Jahresgrenzbetrag für das Jahr 2004 (7.680 EUR) überschritten.
Im Januar 2005 beantragte der Kläger erneut Kindergeld für B unter Angabe weiterer Werbungskosten, u. a. der Teilnahme an einer Arbeitsgemeinschaft in Neuss und bei teilweise überhöhten Km-Angaben (Kindergeld-Akte, Bl 99). Der Beklagte legte im Rahmen der aufwändigen Ermittlung der Einkünfte des Jahres 2004 Einnahmen von 10.553 EUR zugrunde und erkannte Werbungskosten von 2.540 EUR an, so dass sich Einkünfte und Bezüge von 8.014 EUR ergaben (Kindergeld-Akte, Bl 239). Mit Bescheid vom 25. April 2005 wurde deshalb auch der erneute Kindergeldantrag des Klägers ab Januar 2004 abgelehnt. Der Bescheid wurde nicht angefochten.
Mit Schreiben vom 24. Juni 2005 beantragte der Kläger unter Hinweis auf den zwischenzeitlich bekannt gemachten BVerfG-Beschluss vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02 (BVerfGE 2005, 164, DStR 2005, 911, BFH/NV 2005 <Beilage>, 260) die Überprüfung des Ablehnungsbescheids. Unter Hinweis auf die bestandskräftige Erstablehnung vom 25. April 2005 gewährte die Beklagte daraufhin das Kindergeld nur für die Monate ab Mai 2005; für die Monate Januar 2004 bis einschließlich April 2005 wurde die Kindergeldfestsetzung mit dem vorliegend angefochtenen Bescheid vom 8. Juli 2005 abgelehnt (Kindergeld-Akte, Bl 251).
Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Zur Begründung führte die Beklagte in der Einspruchsentscheidung vom 10. Januar 2006 unter Hinweis auf die BFH-Urteile vom 25. Juli 2001 VI R 78/98 (BFHE 196, 253, BStBl II 2002, 88) und VI R 164/98 sowie die die bestandskräftige Erstablehnung vom 25. April 2005 aus: Der bestandskräftige Ablehnungsbescheid entfalte Bindungswirkung bis zum Ende des Monats seiner Bekanntgabe. Auch eine Korrektur nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 bzw. § 70 Abs. 4 EStG scheide aus, weil es sich bei der geänderten Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Sozialversicherungsabgaben nicht um einen nachträglich bekannt gewordenen Sachverhalt handle.
Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 8. Juli 2005 und der Einspruchsentscheidung vom 10. Januar 2006 zu verpflichten, das Kindergeld für das Kind B für die Monate Januar bis April 2005 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des BFH in der Sache III R 13/06 anzuordnen, hilfsweise die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, eine rückwirkende Kindergeldfestsetzung sei nur bis zu dem auf den Monate der Bekanntgabe des Erstbescheids folgenden Monat zulässig. Eine Korrektur der bestandskräftigen Entscheidung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 komme nicht in Betracht. Denn diese Vorschrift erfasse nicht solche Tatsachen, die erst nach einer Rechtsprechungsänderung relevant würden.
In der mündlichen Verhandlung wurde das Verfahren betreffend die Monate Januar bis Dezember 2004 zur gesonderten Entscheidung abgetrennt. Anschließend nahm der Kläger die Klage für diese Monate zurück.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist in dem verbleibenden Umfang begründet.
1. Eine Verfahrensaussetzung bis zum Abschluss des beim BFH anhängigen Verfahrens III R 13/06 kommt nicht in Betracht.
a) Nach § 74 FGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.
b) Auch im Falle Vorgreiflichkeit der „anderen” Entscheidung bleibt die Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens eine Ermessensentscheidung. Bei der Ausübung seine...