rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Zulässigkeit einer Untätigkeitsklage bei grenzüberschreitenden Ermittlungen wegen Verdachts von Karussellgeschäften
Leitsatz (redaktionell)
Legt der Stpfl. gegen grenzüberschreitende Ermittlungen wegen des Verdachts von Karussellgeschäften Rechtsmittel ein und werden hierdurch zeitnahe weitere Ermittlungen, die das FA für erforderlich erachtet, verzögert bzw. unmöglich gemacht, kann sich der Stpfl. schon wegen des fehlenden Ablaufs der angemessenen Frist i.S. des § 46 Abs. 1 FGO nicht auf eine Untätigkeit des FA berufen.
Normenkette
FGO § 46 Abs. 1, § 46
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Steuerfreiheit von Umsätzen in Zusammenhang mit der Lieferung von … nach Großbritannien. Vorab ist über die Zulässigkeit der ohne abgeschlossenes Vorverfahren erhobenen Klage zu entscheiden.
Die Klägerin betreibt einen Großhandel mit …. Im Rahmen ihrer Tätigkeit nahm sie Lieferbeziehungen zu einer Vielzahl englischer Firmen, darunter auch einer Firma O in Großbritannien auf. Die Umsätze mit diesem Unternehmen erreichten allein für den hier streitigen Monat Januar 2001 eine Größenordnung von 69.547.740,– DM. Die Klägerin meldete diese Umsätze als innergemeinschaftliche und damit steuerfreie Lieferungen nach § 4 Nr. 1 lit. b) i.V.m. § 6 a UStG im Rahmen ihrer Umsatzsteuervoranmeldung für Januar 2001 an. Der Beklagte akzeptierte diese Voranmeldung zunächst ohne Korrekturen.
Die britischen Strafverfolgungsbehörden richteten ab dem Jahr 2001 bis heute insgesamt zwölf Rechtshilfeersuchen an die deutsche Justiz mit dem Ziel einer Klärung der Handelsbeziehungen zwischen der Klägerin einerseits und verschiedenen englischen Abnehmerfirmen andererseits. Hintergrund war die Annahme der britischen Strafverfolgungsbehörden, dass die betreffenden ausländischen Abnehmer der Klägerin – darunter auch die Firma O – Teil eines betrügerischen Systems zur Hinterziehung von Umsatzsteuer gewesen seien.
Diese sog. „Umsatzsteuer-Karusselle” basieren darauf, dass – wie gerichtsbekannt ist – in einer Lieferkette ein Scheinunternehmen eingeschoben wird, das ohne selbst eine wirtschaftliche Tätigkeit zu entfalten, tatsächlich nur deswegen formal existiert, um den Komplizen in der Lieferkette den Vorsteuerabzug aus Rechnungen zu Lasten des Fiscus zu ermöglichen, ohne selbst die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer abzuführen. Die für solche Scheinfirmen handelnden Personen – im englischen Sprachgebrauch „missing trader” genannt – tauchen regelmäßig unter, sobald die Steuerhinterziehung und damit ihre Funktion erkannt wird.
Aufgrund der Rechtshilfeersuchen – insbesondere aufgrund eines Rechtshilfeersuchens vom Mai 2001 – wurden dem Beklagen u.a. folgende Feststellungen der britischen Behörden bekannt:
- Die Fa. O habe am angegebenen Unternehmenssitz keine Geschäftsräume unterhalten und auch im Zeitpunkt der Lieferungen keine Geschäftstätigkeit entfaltet.
- Sie sei nicht wie ein Unternehmer am Markt aufgetreten. Bei der angegebenen Adresse handele es sich um eine Büroserviceadresse, unter der mehr als 800 Firmen gemeldet seien.
- Personen, die mit O in irgendeiner Verbindung gestanden hätten, seien für die britischen Behörden nicht auffindbar gewesen.
- Die … seien ab Lager der Klägerin ausschließlich auf ein Speditionslager der Firma I geliefert worden. In keinem einzigen Fall sei die Lieferung an die Geschäftsadresse oder ein Warenlager der O erfolgt.
- Die Bezahlung sei nach bisherigen Erkenntnissen ausschließlich über die englische Fa. T und deren Bankkonto in der Schweiz abgewickelt worden. Diese Firma stehe in keiner erkennbaren Geschäftsbeziehung zu der Klägerin.
- Weitere Erkenntnisse betreffen den kreislaufähnlichen Transport der … von Deutschland in das Speditionslager I und wieder zurück.
Aufgrund dieser Erkenntnisse erließ der Beklagte unter dem Datum vom 16.07.2001 einen nach § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (-AO-) geänderten Bescheid für den Umsatzsteuervoranmeldungszeitraum Januar 2001, der eine Umsatzsteuernachforderung in Höhe von 9.592.791,40 DM enthielt. Begründet wurde die Änderung des Bescheids damit, dass es sich bei dem ausländischen Unternehmen O um ein Scheinunternehmen handele. Die vorgenommenen Lieferungen seien daher, da der Buchnachweis in Form der Aufzeichnung von Name und Adresse sowie Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (sog. ID-Nummer) des wahren Abnehmers nicht erbracht sei, abweichend von der Erklärung der Klägerin nicht steuerfrei. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin unter dem Datum des 25.07.2001 Einspruch ein, über den bisher nicht entschieden wurde.
Aufgrund der Erkenntnisse der englischen Strafverfolgungsbehörden wurde ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin eingeleitet. Im Zuge dieses Ermittlungsverfahrens, aber auch mit dem Ziel der Erfüllung der britischen Rechtshilfeersuchen, wurden von der eingeschalteten Steuerfahndung und der Staatsanwaltschaft L im Inland die verschiedensten Maßnahmen durchgeführt. So wurden die Geschäftsräume der Klägerin durchsucht und ...