Entscheidungsstichwort (Thema)
Mechanisches Versehen, Fehler bei der Sachverhaltsermittlung
Leitsatz (redaktionell)
Nimmt ein Veranlagungsbeamter keinen Abgleich von übermittelten und erklärten Beträgen vor und nimmt es damit bewusst und gewollt in Kauf, dass ggf. ein unzutreffender Sachverhalt der Veranlagung zugrunde gelegt wird, ist kein lediglich mechanisches Versehen anzunehmen, sondern ein nicht nach § 129 AO berichtigungsfähiger Fehler bei der Sachverhaltsermittlung.
Normenkette
AO § 129
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 129 Abgabenordnung (AO) vorliegen.
Die Kläger sind zusammenveranlagte Ehegatten.
Die Klägerin war im Streitjahr vom 1.1.2011 bis 31.8.2011 bei der Firma A GmbH und vom 1.9.2011 bis 31.12.2011 bei der Firma B GmbH beschäftigt. Die Kläger reichten die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2011 am 14.5.2012 in Maschinenschrift zusammen mit Belegen beim Beklagten ein. Die Klägerin erklärte in der Anlage N den Bruttoarbeitslohn mit 25.473 €, die Lohnsteuer mit 5.285,36 € und den Solidaritätszuschlag mit 280,29 €. Außerdem erklärte die Klägerin in der Anlage Vorsorgeaufwand „Arbeitnehmerbeiträge zu Krankenversicherungen lt. Nr. 25 der Lohnsteuerbescheinigung” in Höhe von 2.089 € und „Arbeitnehmerbeiträge zu sozialen Pflegeversicherungen lt. Nr. 26 der Lohnsteuerbescheinigung” in Höhe von 266 €.
In dem Einkommensteuerbescheid vom 10.7.2012 wurde bei den Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger Tätigkeit ein Bruttoarbeitslohn von 13.333 €, ein Lohnsteuerabzug vom Lohn der Klägerin in Höhe von 2.935 €, ein Solidaritätszuschlagsabzug in Höhe von 151,06 €, Beiträge zur Krankenversicherung der Klägerin in Höhe von 1.094 € und Beiträge zur Pflegeversicherung der Klägerin in Höhe von 147 € berücksichtigt.
Der Einkommensteuerbescheid wurde nicht angefochten und damit bestandskräftig.
Im November 2013 stellte der Beklagte fest, dass seit dem 22.8.2012 Lohndaten aus dem Beschäftigungsverhältnis der Klägerin bei der Firma A GmbH beim Beklagten vorliegen, die in dem Bescheid nicht berücksichtigt worden waren. Diese Daten summieren sich mit den in dem Steuerbescheid berücksichtigten Daten – aus dem Beschäftigungsverhältnis bei der Firma B GmbH – auf die Beträge, die die Klägerin in der Steuererklärung angegeben hatte.
Der Beklagte änderte daraufhin entsprechend die Steuerfestsetzung mit Bescheid vom 9.12.2013 nach § 173 S. 1 Nr. 1 AO. Grundlage für die Änderung seien die vom Arbeitgeber (A GmbH) dem Beklagten nach Veranlagung übermittelten geänderten Lohnsteuerbescheinigungsdaten.
Mit dem hiergegen gerichteten Einspruch führten die Kläger im Wesentlichen aus, dass weder die Voraussetzungen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO noch die nach § 129 AO vorlägen. Es handele sich bei der fehlerhaften Lohndatenübertragung nicht um einen Übertragungs- bzw. Übermittlungsfehler, der die Änderung nach § 129 AO ermöglichen würde. Vielmehr handele es sich um einen Bearbeitungsfehler des Beklagten, der nicht auf ihre Kosten behoben werden dürfe. Der Beklagte könne sich auch nicht auf eine computergestützte Bearbeitung der Steuererklärung berufen, weil diese umfangreich geprüft und von den Angaben abgewichen worden sei. Schließlich sei die Berichtigung erst nach 16 Monaten erfolgt und zudem mit einer falschen Änderungsvorschrift versehen worden.
Am 05.03.2014 erging ein Änderungsbescheid, mit dem der Beklagte nachträglich Kinderbetreuungskosten und zusätzliche Beiträge zur Krankenversicherung anerkannte.
Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 2.7.2014 als unbegründet zurückgewiesen.
Mit ihrer Klage machen die Kläger geltend, dass die Voraussetzungen des § 129 AO nicht gegeben seien. Ein Verstoß der Finanzbehörde gegen die Ermittlungspflicht schließe regelmäßig die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit aus. Vorliegend sei der Sachverhalt mit der Steuererklärung unter Beifügung der richtigen Lohnsteuerbescheinigungen dargestellt worden. Im Rahmen des Veranlagungsverfahrens seien zahlreiche und nicht erläuterte Abweichungen von der Erklärung zu Ungunsten der Kläger erfolgt. Die Abweichungen hätten beispielsweise die Nichtanerkennung von ebenfalls elektronisch übermittelten Zusatzbeiträgen zur Krankenversicherung sowie die vollumfängliche Streichung der Werbungskosten zum Beschäftigungsverhältnis bei der Firma A GmbH betroffen. Zudem seien alle Einträge zum Beschäftigungsverhältnis bei der Firma A GmbH von der Sachbearbeiterin nicht beachtet oder gelöscht worden bzw. unberücksichtigt geblieben. Es sei daher von einer intensiven Bearbeitung der Einkommensteuerklärung 2011 mit zahlreichen Abweichungen auszugehen. Zudem hätten sich aus den beigefügten Lohnsteuerbescheinigungen alle erklärten Werte ergeben und aus den Lohnsteuerbescheinigungen sei zudem ersichtlich gewesen, dass die Klägerin das ganze Streitjahr erwerbstätig gewesen sei. Im Ergebnis habe die Sachbearbeiterin ihre Ermittlungspflichten t...