Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückzahlungsanspruch der irrtümlich wegen Steuerschulden zu hoch in Anspruch genommenen Drittschuldnerin
Leitsatz (redaktionell)
Zahlt ein Kontoführungsinstitut auf die Pfändungs- und Überweisungsverfügung des Finanzamts irrtümlich einen zu hohen Betrag an das Finanzamt, so ist dieses nicht berechtigt, aufgrund eines Abrechnungsbescheids gegenüber dem Kontoführungsinstitut auf dem Mehrbetrag zu beharren. Vielmehr besteht ein Bereicherungsanspruch des Kontoführungsinstituts gegen das Finanzamt aus § 812 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BGB.
Normenkette
BGB § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1; AO § 218 Abs. 2 S. 2
Nachgehend
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte im Hinblick auf einen Anspruch der Klägerin wegen Überzahlung einen Abrechnungsbescheid erlassen durfte und ob die Klägerin einen Zahlungsanspruch vor dem Finanzgericht durchsetzen kann.
Die Klägerin steht als Kreditinstitut mit einem Herrn A in geschäftlicher Beziehung. Dieser schuldet dem Finanzamt Steuern.
Im Dezember 2007 eröffnete Herr A (im Folgenden Vollstreckungsschuldner genannt) bei der Klägerin ein Geschäftsgirokonto. Ein Dispositionskontokorrent- oder ein sonstiger Kreditrahmen wurden nicht vereinbart
Der Beklagte pfändete mit Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 3.2.2010 die bei der Klägerin befindlichen Guthaben des Vollstreckungsschuldners und zog diese ein. Der Pfändung lagen Steuerrückstände der Vollstreckungsschuldnerin in Höhe von 2.073,86 EUR zugrunde. Zum Zeitpunkt der Pfändung betrug der Saldo auf dem Konto -20,87 EUR. Die Klägerin teilte dem Beklagten mit, dass kein pfändbares Guthaben bestehe.
Mit geänderter Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 16.2.2010 schränkte der Beklagte den Betrag auf 1.924,01 EUR ein. Aufgrund eines Irrtums der zuständigen Sachbearbeiterin überwies die Klägerin dem Beklagten den nunmehr gepfändeten Betrag, obwohl nur ein Guthaben in Höhe von 35,03 EUR vorhanden gewesen wäre aufgrund von Überweisungen der B GmbH.
Nachdem die Klägerin den Irrtum bemerkt hatte, forderte sie den Beklagten auf, den überzahlten Betrag in Höhe von 1.888,98 EUR an sie zurückzuüberweisen.
Mit Abrechnungsbescheid vom 8.4.2010 stellte der Beklagte fest, dass ein Erstattungsanspruch der Klägerin wegen der Steuerforderung nicht in Betracht komme, da die Steuerrückstände des Vollstreckungsschuldners tatsächlich bestünden.
Den gegen den Abrechnungsbescheid eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 31.5.2010 als unbegründet zurück.
Mit der Klage trägt die Klägerin vor:
Die Klage sei zulässig. Sie sei als Adressatin des Abrechnungsbescheids klagebefugt. Im vorliegenden Fall sei der Erlass eines Abrechnungsbescheids ihr gegenüber nicht statthaft.
Durch die irrtümliche Überweisung sei ein gesetzliches Schuldverhältnis entstanden. Aus diesem habe sie gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alternativ 1 BGB gegen den Beklagten einen Herausgabeanspruch auf den überzahlten Betrag.
Der Zahlungsanspruch sei vor dem Finanzgericht zu verfolgen. Gemäß § 17 Abs. 2 GVG entscheide das Gericht des zulässigen Rechtsweg den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. Ein Parallelverfahren vor einem ordentlichen Zivilgericht wäre für sie mit der Gefahr des Einwands der anderweitigen Rechtshängigkeit durch den Beklagten behaftet. Zudem würde es dem Grundsatz der Prozessökonomie widersprechen, von ihr die isolierte Geltendmachung des Zahlungsanspruchs zu verlangen.
Die Klägerin beantragt,
den Abrechnungsbescheid vom 8.4.2010 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 31.5.2010 aufzuheben und
den Beklagten zu verurteilen, an sie 1.888,98 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 8.4.2010 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Abrechnungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin deshalb in ihren Rechten, vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO – (dazu unter 1.). Die Klägerin hat gegen den Beklagten auch einen Anspruch auf Rückzahlung des irrtümlich gezahlten Betrags, den sie vor dem Finanzgericht geltend machen kann (dazu unter 2.).
1. Abrechnungsbescheid
Die Klage ist zulässig, da die Klägerin als Adressatin des Abrechnungsbescheids beschwert ist.
Die Klage ist auch begründet.
Der Beklagte durfte über das Erstattungsbegehren der Klägerin nicht durch Abrechnungsbescheid entscheiden.
Nach § 218 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung 1977 – AO – entscheidet die Finanzbehörde über Streitigkeiten, die die Verwirklichung der Ansprüche im Sinne des Abs. 1 betreffen, durch Verwaltungsakt. Dies gilt auch, wenn die Streitigkeit einen Erstattungsanspruch (§ 37 Abs. 2 AO) betrifft.
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt, da es sich nicht um eine Streitigkeit über einen Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO handelt. § 37 Abs. 2 AO betrifft den Fall, dass eine Steue...