Entscheidungsstichwort (Thema)
Europarechtlich zulässige Ungleichbehandlung von unbeschränkt und beschränkt Steuerpflichtigen mit inländischen Dividendenbezügen
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein in Deutschland beschränkt Steuerpflichtiger mit Wohnsitz in Belgien, der in Deutschland eine endgültige steuerliche Belastung hinsichtlich der von einer GmbH ausgeschütteten Dividenden in Höhe von 15 % zu tragen hat, wird im Hinblick auf diese Kapitalerträge durch das deutsche Steuerrecht nicht schlechter gestellt als vergleichbare inländische Steuerpflichtige, sodass keine unionsrechtswidrige Beschränkung der Kapitalverkehrs- oder Niederlassungsfreiheit vorliegt.
2. Eine unionsrechtswidrige Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit oder der Niederlassungsfreiheit liegt nicht schon aufgrund einer kumulativen Ausübung des jeweiligen Besteuerungsrechts zweier Mitgliedstaaten (hier: unbeschränkte Steuerpflicht in Belgien und beschränkte Steuerpflicht in Deutschland), wodurch die inländischen Kapitalerträge insgesamt prozentual einer höheren Steuerbelastung unterliegen als im Falle einer einfachen Steuerpflicht in einem der beiden Mitgliedstaaten, und einer dadurch eintretenden Doppelbesteuerung vor, solange im innerstaatlichen Recht keine wirksame Ungleichbehandlung von aus- und inländischen Steuerpflichtigen vorliegt (Anschluss an EuGH-Urteil vom 16. Juli 2009 C-128/08 – Damseaux).
3. Die infolge der absoluten Abgeltungswirkung nach § 50 Abs. 2 Satz 1 EStG und des Ausschlusses der beschränkt Steuerpflichtigen vom Veranlagungsverfahren mit der nur für beschränkt Steuerpflichtige möglichen besonderen Besteuerung nach § 32d EStG bestehende Ungleichbehandlung führt nicht zu einer aus dem inländischen Steuerrecht resultierenden Schlechterstellung des beschränkt Steuerpflichtigen, wenn die nach dem deutschen Steuerrecht theoretisch bestehenden Möglichkeit einer Veranlagung nach § 32d EStG beim Steuerpflichtigen nicht zu einer geringeren Einkommensteuerbelastung im Hinblick auf die Dividenden führt (hier: Belastung des beschränkt Steuerpflichtigen im Inland mit 15 % Einkommensteuer gegenüber Belastung einer unbeschränkt einkommensteuerpflichtige Vergleichsperson mit 25 % Einkommensteuer auf die Kapitalerträge). Die aufgrund des Ausschlusses von beschränkt Steuerpflichtigen von der Veranlagungsmöglichkeit bestehende Ungleichbehandlung wirkt sich tatsächlich nur in den Fällen aus, in denen die Anwendung des § 32d EStG zu einer geringeren Steuer führen würde als die, die als Kapitalertragsteuer (endgültig) einbehalten wurde.
Normenkette
EStG § 36 Abs. 2 Nr. 2 a, § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 5 Sätze 2 und 3, § 43a Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 50 Abs. 2 S. 1; DBA BEL Art. 10 Abs. 2; EStG § 32d
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Erstattung von in Deutschland einbehaltener und in Belgien nicht anrechenbarer Kapitalertragsteuer für das Jahr 2015.
Der Kläger lebt mit seiner Ehefrau im Ortsteil R der Gemeinde Z in Belgien und unterliegt dort der unbeschränkten Steuerpflicht nach belgischem Steuerrecht. Er war im Streitjahr wesentlich an der Y GmbH (im Folgenden: GmbH) mit Sitz in X beteiligt und auch einer ihrer Geschäftsführer. Von der GmbH bezog er neben seinem Gehalt als Geschäftsführer in Höhe von … € auch eine Gewinnausschüttung. Ausweislich der Steuerbescheinigung der GmbH vom 16. Juni 2015 zahlte die Gesellschaft an den Kläger am selben Tag aufgrund des Gesellschafterbeschlusses vom … 2015 einen Betrag in Höhe von … €, wovon sie Kapitalertragsteuer in Höhe von … € und Solidaritätszuschlag in Höhe von … € einbehielt und an das Finanzamt X abführte. Daneben erzielte er aus Vermietung und Verpachtung eines in Deutschland gelegenen Grundstücks einen Verlust in Höhe von … €.
Mit Bescheid vom 5. November 2015 setzte der Beklagte antragsgemäß zu erstattende Kapitalertragsteuer in Höhe von … € und zu erstattenden Solidaritätszuschlag in Höhe von … € fest.
Mit Schreiben vom 1. März 2016 beantragte der Kläger beim Finanzamt X die Erstattung der einbehaltenen Kapitalertragsteuern des Streitjahres, soweit diese nicht bereits vom Beklagten erstattet worden seien. Der Erstattungsanspruch ergebe sich unmittelbar aus der europarechtlichen Kapitalverkehrsfreiheit. Nach der Rechtsprechung des EuGH (Rechtssache Miljoen, Urteil vom 17. September 2015 – C-14/14) widerspreche es der Kapitalverkehrsfreiheit, wenn ein Mitgliedstaat für gebietsansässige Steuerpflichtige ein Verfahren zum Abzug der Kapitalertragsteuer vorsehe, für gebietsfremde natürliche Personen dagegen nicht, wenn dies zu einer höheren steuerlichen Belastung führe. Diese Ungleichbehandlung könne zwar durch ein Doppelbesteuerungsabkommen beseitigt werden, im vorliegenden Fall enthalte das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und zur Regelung verschiedener anderer Fragen auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen einschließlich der Gewerbesteuer und der Grundsteuern (DBA) jedoch keine Vorschrift, nach de...