Entscheidungsstichwort (Thema)
Frage der Steuerbefreiung von Betreuungsleistungen als sozialpädagogische Familienhelferin bei Tätigkeit für Einrichtungen mit sozialem Charakter; Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach ständiger EuGH-Rechtsprechung kann sich ein Stpfl. in Ermangelung fristgemäß erlassener Umsetzungsmaßnahmen auf Bestimmungen einer RL, die inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen, gegenüber allen nicht richtlinienkonformen innerstaatlichen Vorschriften berufen.
2. Leistungen, die eng mit der Fürsorge und sozialen Sicherheit oder der Kinder- und Jugendbetreuung verbunden, können gem. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g und h steuerfrei sein, wenn sie von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen (privaten) Einrichtungen, die von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtung mit im wesentlichen sozialen Charakter anerkannt worden sind, erbracht werden.
3. Ein Stpfl. kann die Eigenschaft einer Einrichtung mit sozialem Charakter nicht schon dadurch erlangen, dass er sich auf diese Bestimmung beruft. Es ist Sache der nationalen Behörden, nach dem Gemeinschaftsrecht zu bestimmen, welche Einrichtungen als solche mit sozialem Charakter i.S.v. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der RL 77/388/EWG anzuerkennen sind. So kann für die Anerkennung gewürdigt werden, dass der Leistende die begünstigten Leistungen aufgrund vertragl. Vereinbarungen mit Trägern der Sozialversicherung erbracht hat. Erbringt der Stpfl. seine Leistungen an zwischengeschaltete Vereine lässt sich aus der Tatsache, dass er diese Leistungen nach Absprache mit einem zuständigen Jugendamt erbracht hat, keine Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter ableiten.
Normenkette
UStG § 4 Nrn. 23, 25; Richtlinie 77/388/EWG Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g, h
Tatbestand
Die Klägerin war in den Streitjahren als sozialpädagogische Familienhelferin unternehmerisch tätig. Im Veranlagungszeitraum 2003 übte sie diese Tätigkeit als freie Mitarbeiterin und im Veranlagungszeitraum 2006 sowohl als freie Mitarbeiterin als auch als Beteiligte der „A GbR” aus.
Die aus der Tätigkeit als freie Mitarbeiterin erzielten Einnahmen beliefen sich in 2003 auf 16.672,35 EUR und in 2006 auf 14.526,00 EUR. Diese Einnahmen wurden an die Klägerin in 2003 durch ihre Auftraggeber „B GbR” und „C e. V.” gezahlt. In 2006 erhielt die Klägerin die Zahlungen durch die Auftraggeber „D” und „E”. Für die Auftraggeber, welche direkt mit dem Jugendamt abrechneten, war die Klägerin in beiden Streitjahren als Subunternehmerin tätig. Die entsprechenden Verträge der Klägerin wurden mit diesen Auftraggebern abgeschlossen und die Klägerin wurde somit auch durch sie vergütet.
Die Umsätze wurden durch die Klägerin gemäß § 4 Nr. 23 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) steuerfrei belassen.
Eine bei der Klägerin durchgeführte Umsatzsteuer-Sonderprüfung führte zu dem Ergebnis, dass die bisher steuerfrei belassenen Umsätze nunmehr der Umsatzsteuer unterworfen wurden. Zur Begründung wurde auf ein Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 08.11.2007 (V R 2/06, BFHE 219, 428, BStBl II 2008, 634) verwiesen, wonach es für die Steuerbefreiung nicht ausreiche, wenn ein Unternehmer lediglich als Subunternehmer für eine anerkannte Einrichtung tätig geworden sei.
Mit Bescheiden vom 15.07.2008 wurden für 2003 Umsätze i. H. v. 14.372,41 EUR und für 2006 Umsätze i. H. v. 12.552,41 EUR der Besteuerung unterworfen. Die Vorsteuern wurden anhand der in der Einnahme-Überschussrechnungen aufgeführten Betriebsausgaben mit jeweils 300,00 EUR pro Streitjahr geschätzt.
Für die Jahre 2001, 2002, 2004, 2005 erfüllte die Klägerin die Voraussetzungen des § 19 UStG, so dass trotz der, nach Ansicht des Finanzamts – FA – bestehenden, Steuerpflicht für die Umsätze keine Umsatzsteuer festgesetzt wurde.
Gegen die Umsatzsteuerbescheide legte die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage ein.
Die Klägerin vertritt die Ansicht, ihre Tätigkeit sei nach § 4 Nr. 23 UStG, hilfsweise nach Art. 13 Teil A Abs. 1 g der Richtlinie 77/388/EWG, steuerfrei.
Die Klägerin macht geltend, mit dem Urteil vom 08.11.2007 (V R 2/06) widerspreche der BFH in maßgeblichen Punkten früheren von ihm gefällten Urteilen, gewichte Argumente und Sachverhalte anders und setze sich über geltende europäische Rechtsprechung, gesprochen durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), in diversen Punkten hinweg. In den BFH-Urteilen vom 22.04.2004 (V R 1/98) und vom 18.08.2005 (V R 71/03) und dem EuGH-Urteil vom 26.05.2005, auf das sich das BFH-Urteil vom 08.11.2007 (V R 2/06) unmittelbar beziehe, sei die vertragliche Verbundenheit zum Sozialversicherungsträger lediglich als Nebenkriterium für die Bejahung eines Unternehmers als „Einrichtung mit sozialem Charakter” i. S. d. Art. 13 Teil A Abs. 1 g und h der Richtlinie 77/388/EWG benannt. Die in dem durch den Beklagten angeführten BFH-Urteil vom 08.11.2007 als maßgebliches Kriterium zur Bejahung der Umsatzsteuerfreiheit der erbrachten Leistung dargestel...