Entscheidungsstichwort (Thema)
Jahresgrenzbetrag, Ausgestaltung als Freigrenze
Leitsatz (redaktionell)
1) Einkünfte eines Kindes sind bei der Frage, ob der Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschritten ist, nicht um Beträge zu einer privaten Rentenversicherung zu kürzen.
2) Die Ausgestaltung des Jahresgrenzbetrags als Freigrenze begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (entgegen Niedersächsisches FG v. 23.11.2006 - 1 K 76/04, EFG 2006, 1592).
Normenkette
EStG § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 S. 2, § 32 Abs. 4 S. 2
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob das Kindergeld für das Kind K für die Monate Januar bis Dezember 2007 wegen Überschreitung des Jahresgrenzbetrags zu versagen war.
Der im Dezember 1986 geborene Sohn K der Klägerin befand sich bis Februar 2008 in Ausbildung zum Industriemechaniker. In ihrer Prognose-Entscheidung gelangte die Beklagte zunächst zu dem Ergebnis, dass die Einkünfte und Bezüge von K den Jahresgrenzbetrag für das Jahr 2007 nicht überschritten. Aus einer im Dezember 2007 eingegangenen Ausbildungsbescheinigung ergaben sich allerdings sowohl höhere laufende monatliche Bezüge von K als auch höhere Sonderzuwendungen, aufgrund derer sich bereits ohne Berücksichtigung der Sonderzuwendungen ein Überschreiten des Jahresgrenzbetrags ergeben hätte (Kindergeld-Akte, Bl. 283, 284, GA Bl. 13). Deshalb hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für K mit dem vorliegend streitgegenständlichen Bescheid vom 22. Januar 2008 auf der Grundlage von § 70 Abs. 4 EStG auf und forderte das nach ihrer Ansicht für die Monate Januar bis Dezember 2007 gezahlte Kindergeld i.H.v. 1.848 EUR zurück.
Mit dem Einspruch machte die Klägerin geltend, der an K ausbezahlte Nettobetrag habe nach Abzug der Sozialabgaben und des Arbeitnehmerpauschbetrags – unstreitig – 8.390 EUR betragen (Bruttobetrag gemäß Jahreslohnsteuerbescheinigung: 11.718 EUR). Daher werde der Jahresgrenzbetrag von 7.680 EUR lediglich um 710 EUR überschritten. Dies könne nicht zu einer Rückforderung von 1.848 EUR Kindergeld führen. Die Rückforderung sei deshalb auf 710 EUR zu begrenzen. Der Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 12. Februar 2008).
Die Klägerin macht geltend, K habe über die bisher angesetzten Aufwendungen im Jahr 2007 weitere Aufwendungen für eine zusätzliche private Rentenversicherung i.H.v. 600 EUR sowie Aufwendungen für besondere Ausbildungszwecke i.H.v. 445 EUR gehabt. Die Aufwendungen für besondere Ausbildungszwecke ergäben sich aus Fahrten zur Berufsschule (13 km an 45 Tagen × 0,30 EUR/Kilometer) sowie dem Verpflegungsmehraufwand an diesen Tagen (45 × 6 EUR). Außerdem hält die Klägerin unter Bezugnahme auf das Urteil des FG Niedersachsen vom 23. Februar 2006 1 K 76/04 an ihrer bereits im Vorverfahren vertretenen Auffassung fest, dass die Fallbeil-Wirkung des Jahresgrenzbetrags zu gleichheitswidrigen Progressionssprüngen führe und deshalb verfassungswidrig sei.
Die Klägerin beantragt,
den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 22. Januar 2008 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 12. Februar 2008 dahin zu ändern, dass die Rückforderung auf 710 EUR begrenzt wird.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, dass das Bruttoeinkommen von K (11.718 EUR) lediglich um die Sozialversicherungsbeiträge von 2.408 EUR und den Arbeitnehmerpauschbetrag von 920 EUR zu kürzen sei. Danach verblieben 8.390 EUR. Die von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen für eine zusätzliche private Rentenversicherung seien ebenso wenig von den Einnahmen von K absetzbar wie die Aufwandsposition i.H.v. 445 EUR für besondere Ausbildungszwecke.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Eine Begrenzung der Rückforderung auf den Betrag, um den die Einkünfte und Bezüge den Jahresgrenzbetrag übersteigen, kommt nicht in Betracht.
1. Für ein volljähriges Kind besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ein Anspruch auf Kindergeld im Streitjahr 2007 nur dann, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 7.680 EUR hat.
2. Im Streitfall ist der Grenzbetrag von 7.680 EUR überschritten.
a) Der Begriff der Einkünfte ist in § 2 Abs. 2 EStG gesetzlich definiert als Gewinn bzw. als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten. Nach dem BVerfG-Beschluss vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02 (BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260) kann der Begriff „Einkünfte” daher nicht als „zu versteuerndes Einkommen” ausgelegt werden. Die vom Arbeitslohn des Kindes einbehaltenen Sozialversicherungsbeiträge, die einkommensteuerrechtlich den Sonderausgaben zuzuordnen sind, dürfen deshalb nicht von den Einkünften abgesetzt werden.
Ebenso hat das BVerfG a.a.O. allerdings entschieden, dass die Berücksichtigung der Sozialversicherungsbeiträge als Einkünfte des Kindes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, weil Eltern mit sozialversicherungspflichtigen Kindern, deren ...