Entscheidungsstichwort (Thema)
Fristbeginn bei der Anfechtungsklage
Leitsatz (redaktionell)
1. Als letztes Mittel der Bekanntgabe ist eine öffentliche Zustellung zulässig, wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind, dem Empfänger ein Schriftstück in anderer Weise zu übermitteln. Ob dies tatsächlich der Fall ist, bedarf im Einzelfall einer sorgfältigen Prüfung aller in Frage kommenden Erkenntnismittel.
2. Dabei ist das Verlangen einer Anfrage nach Polen an einen Ehegatten nach der Anschrift des von ihm getrennt lebenden anderen Ehegatten als unmäßig anzusehen.
Normenkette
FGO § 47 Abs. 1, 1 S. 1; AO §§ 366, 366 S. 2, §§ 122, 122 Abs. 5; FGO § 47
Nachgehend
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist im formellen Bereich die Zulässigkeit der Klage und im materiellen Bereich streitig, ob der Kläger Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuergesetzes war.
Der Beklagte erließ aufgrund einer Betriebsprüfung gegenüber dem Kläger erstmalige Umsatzsteuerbescheide für 1993 bis 1995, da er davon ausging, dass der Kläger und nicht dessen Ehefrau Unternehmer gewesen sei. In diesen Bescheiden ließ er insbesondere die von der Ehefrau geltend gemachten Vorsteuerbeträge nicht mehr zum Abzug zu, da die Eingangsrechnungen nicht auf den Namen des Klägers, sondern auf den Namen seiner Ehefrau lauteten.
Gegen die Umsatzsteuerbescheide legte die damalige Steuerberaterin des Klägers Einsprüche ein. Die Einsprüche wurden nicht begründet. Mit Schreiben vom 4. April 2000 teilte die Beraterin mit, dass das Mandat nicht mehr bestehe und damit auch keine Empfangsvollmacht. Nach ihren Angaben kannte sie nicht die aktuelle Wohnanschrift des Klägers. Dieser hatte sich mittlerweile seiner Verhaftung und einem durchzuführenden Steuerstrafverfahren durch Flucht nach Polen entzogen.
Ermittlungen des Veranlagungsbezirks im Oktober 2000 und der Rechtsbehelfsstelle bereits im Jahre 1999 ergaben, dass der Kläger bereits seit Mitte 1999 nicht mehr unter seiner alten Wohnanschrift wohnhaft war. Eine Anfrage an das Einwohnermeldeamt aus 1999 ergab, dass diesem auch die Anschrift nicht bekannt war. Eine letzte telefonische Anfrage beim Einwohnermeldeamt im November 2000 ergab ebenfalls, dass der Kläger unbekannt verzogen und von Amts wegen abgemeldet worden sei. Die Eheleute lebten nach dem unwidersprochenen Vortrag des Beklagten zumindest in den Jahren 1999 und 2000 getrennt.
Der Beklagte stellte daraufhin die Einspruchsentscheidung vom 29. November 2000, mit der er die Einsprüche gegen die Umsatzsteuerbescheide für 1993 bis 1995 als unbegründet zurückwies, öffentlich zu. Wegen der Einzelheiten der öffentlichen Zustellung wird auf die Verfügung vom 29. November 2000 Bezug genommen (Blatt 35 der Gerichtsakten).
Nachdem der jetzige Prozeßbevollmächtigte des Klägers sich beim Beklagten gemeldet hatte, wurde diesem mit Schreiben des Beklagten vom 2. April 2002 eine Kopie der Einspruchsentscheidung übersandt. Hieraufhin erhob der Bevollmächtigte am 2. Mai 2002 Klage. Zur Begründung trägt der Kläger im wesentlichen vor:
Die Klage sei rechtzeitig erhoben worden. Die Einspruchsentscheidung sei erst mit der Übersendung an seinen jetzigen Bevollmächtigten wirksam bekannt gegeben worden. Die öffentliche Zustellung sei fehlerhaft und damit nichtig gewesen. Vor Erlass der Einspruchsentscheidung sei der jetzige Prozeßbevollmächtigte für seine Ehefrau in deren Einspruchsverfahren wegen des Umsatzsteuerhaftungsbescheides gegenüber dem Beklagten tätig geworden. Der Beklagte hätte sich deshalb bei diesen nach seiner Wohnanschrift erkundigen können. Da er dies nicht getan habe, habe er nicht alle Erkenntnismöglichkeiten ausgeschöpft.
Außerdem sei dem Beklagten die Wohnanschrift seiner Ehefrau in Polen bekannt gewesen. Auch diese Erkenntnismöglichkeit habe der Beklagte nicht ausgeschöpft.
Der Beklagte hat den vorgenannten tatsächlichen Angaben nicht widersprochen.
Der Kläger beantragt,
die Umsatzsteuerbescheide für 1993 bis 1995 vom 27. Oktober 1999 bzw. 2. November 1999 sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 29. November 2000 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt
Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unzulässig.
Der Kläger hat nicht die Klagefrist eingehalten.
Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO – beträgt die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage einen Monat. Sie beginnt mit der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung zu laufen.
Die Einspruchsentscheidung wurde gemäß § 366 Satz 2, 122 Abs. 5 der Abgabenordnung 1977 – AO – i.V.m. § 15 Abs. 1 Buchst. a Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) öffentlich zugestellt. Die Durchführung der öffentlichen Zustellung selber beinhaltet keine Formfehler, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist. Entgegen der Auffassung des Klägers durfte der Beklagte die Einspruchsentscheidung auch im Wege der öffentlichen Zustellung bekanntgeben.
Nach § 15 Abs. 1 VwZG wird u.a. durch öffentliche Bekanntmachung zugestellt, wenn ...