Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Erlass von Nachzahlungszinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen wegen verzögerter Bearbeitung des Steuerfalls. gerichtliche Kontrolle der Ermessensentscheidung des Finanzamts
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Entscheidung über den Erlass von Nachzahlungszinsen ist eine Ermessensentscheidung des Finanzamts und unterliegt deshalb gemäß § 102 FGO nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle im Hinblick darauf, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer nicht dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.
2. Eine verzögerte Bearbeitung des Steuerfalls durch das Finanzamt stellt regelmäßig keinen sachlichen Billigkeitsgrund dar.
3. Die sogenannte Vollverzinsung nach § 233a AO ist sowohl für Steuernachzahlungen als auch für Erstattungen bewusst verschuldensunabhängig ausgestaltet worden, um Streitigkeiten über die Ursachen einer späten Steuerfestsetzung zu vermeiden. Deshalb ist es unerheblich, ob der vom Gesetz typisierend unterstellte Zinsvorteil des Steuerpflichtigen auf einer verzögerten Abgabe der Steuererklärung oder auf einer verzögerten Bearbeitung durch das Finanzamt beruht.
Normenkette
AO §§ 233a, 227; FGO § 102
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über den teilweisen Erlass von Nachzahlungszinsen nach § 233a Abgabenordnung (AO) aus sachlichen Billigkeitsgründen.
Der Kläger erzielte im Streitjahr 2011 Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft als Mitunternehmer, Einkünfte aus Gewerbetrieb als Einzelunternehmer (Güterbeförderung im Straßenverkehr) sowie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Seine mit ihm verheiratete und zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Ehefrau erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Mit dem Bescheid vom 21.08.2013 setzte der Beklagte die Einkommensteuer auf …. EUR fest.
Das Einzelunternehmen des Klägers wurde zum 01.01.2012 auf die ….. GmbH ausgegliedert. Der Beklagte führte in dem Gewerbebetrieb des Klägers für die Jahre 2011 bis 2013 mit Unterbrechungen eine Außenprüfung durch. Die Prüfungsanordnung wurde am 05.12.2014 erlassen; tatsächlicher Prüfungsbeginn war der 16.03.2015. Eine erste Stellungnahme der hinzugezogenen Fachprüferin vom 02.07.2015 wurde wegen einer Krankheit der Betriebsprüferin dem steuerlichen Vertreter des Klägers erst am 08.02.2016 übersandt. Die weitere Stellungnahme der Fachprüferin wurde dem steuerlichen Vertreter des Klägers erneut krankheitsbedingt erst am 09.09.2016 übermittelt. Der Prüfungsbericht datiert vom 25.11.2016. Die Prüferin stellte einen Veräußerungsgewinn fest, der im Jahr 2011 zu versteuern sei.
In Umsetzung der Prüfungsfeststellungen erließ der Beklagte am 09.02.2017 einen nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Bescheid über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag, mit dem die Zinsen gem. § 233a AO i.H.v. … EUR festgesetzt wurden.
Der Kläger beantragte mit dem Schreiben vom 22.02.2017 einen Teilerlass der Zinsen zur Einkommensteuer 2011 i.H.v. … EUR. Zur Begründung trug er vor, dass das Prüfungsverfahren wegen der Krankheit der Prüferin erheblich verzögert worden sei. Zwischen den Stellungnahmen vom 02.07.2015 und 21.06.2016 habe sich auf Grund einer Ende 2015 ergangenen Rechtsprechung die Rechtsauffassung der hinzugezogenen Fachprüferin geändert. Dies habe insgesamt neben der verzögerten Verfahrensdauer zu einer höheren Zinsfestsetzung geführt. Aufgrund der geschilderten zeitlichen und sachlichen Umstände sei der beantragte Teilerlass zu gewähren.
Der Beklagte lehnte den Antrag mit dem Bescheid vom 22.03.2017 ab. Die Vollverzinsung gem. § 233a AO sei gesetzlich festgeschrieben und stehe nicht im Ermessen der Finanzbehörde. Die Verzinsung solle im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen einen Ausgleich dafür schaffen, dass die Steuern trotz des gleichen gesetzlichen Entstehungszeitpunktes „aus welchen Gründen auch immer” zu unterschiedlichen Zeiten festgesetzt und erhoben würden. Die Zinsen würden grundsätzlich im automatisierten Verfahren berechnet, festgesetzt und zum Soll gestellt. Die Begleitumstände im Einzelfall seien dabei unbeachtlich. Das Gesetz typisiere den Liquiditäts- oder Zinsvorteil und dessen Bewertung. Auf einen tatsächlichen Zinsvorteil des Steuerpflichtigen komme es nicht an; die Möglichkeit der Kapitalnutzung reiche aus. Ein Verschulden sei irrelevant, so dass es unerheblich sei, worauf der vom Gesetz unterstellte Zinsvorteil zurückzuführen sei. Die Tatsache, dass der Steuerpflichtige auf den Zeitpunkt der Steuerfestsetzung und damit auf die Fälligkeit der Nachforderung keinen Einfluss habe oder dass eine Verzögerung vom Finanzamt zu vertreten sei, reiche für die Annahme einer sachlichen Unbilligkeit der Zinserhebung nicht aus.
Den dagegen eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit der...