Entscheidungsstichwort (Thema)
Tätigkeit eines Rechtsanwalt als Verwalter in Verfahren der Gesamtvollstreckung und Insolvenz als vermögensverwaltende Tätigkeit. Vervielfältigungstheorie. Umqualifikation der Einkünfte der Freiberufler-Personengesellschaft in gewerbliche Einkünfte
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Tätigkeit von Rechtsanwälten im Bereich der Insolvenzverwaltung ist keine freiberufliche Tätigkeit i. S. d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Die Tätigkeit des Insolvenzverwalters ist weder mit der eines Katalogberufs identisch noch ähnlich. Eine sog. „Gruppenähnlichkeit” genügt nicht.
2. Auch für die Tätigkeit als (starker, „halbstarker” oder schwacher) vorläufiger Insolvenzverwalter gilt nichts anderes.
3. Eine gemessen am Gesamtumsatz weniger als 50%-ige Verwaltertätigkeit eines Rechtsanwalts ist nicht stets seiner freiberuflichen Tätigkeit zuzurechnen; vielmehr gelten die allgemeinen Grundsätze, wonach soweit als möglich eine getrennte Beurteilung und Einordnung in verschiedene Einkunftsarten vorzunehmen ist.
4. Nimmt die vermögensverwaltende Tätigkeit i. S. d. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG einen Umfang an, der die ständige Beschäftigung mehrerer Angestellter oder die Einschaltung von Subunternehmern erfordert, und werden den genannten Personen nicht nur untergeordnete, insbesondere vorbereitende oder mechanische Arbeiten übertragen, so beruht sie nicht mehr im Wesentlichen auf der persönlichen Arbeitskraft des Berufsträgers und ist deshalb steuerrechtlich nach der Vervielfältigungstheorie als gewerbliche Tätigkeit zu qualifizieren.
5. Bei einer aus mehreren Rechtsanwälten bestehenden Sozietät führen gewerbliche Einkünfte eines Sozius aus der Tätigkeit im Bereich der Insolvenzverwaltung dazu, dass die Einkünfte der Personengesellschaft insgesamt als solche aus Gewerbebetrieb zu qualifizieren sind (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG).
Normenkette
EStG 1997 § 15 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 Nr. 1, § 18 Abs. 1 Nrn. 1, 3
Nachgehend
BFH (Beschluss vom 30.01.2012; Aktenzeichen VIII R 53/10) |
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf 10.335,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Streitig ist die Umqualifikation von Einkünften aus selbständiger Tätigkeit in gewerbliche Einkünfte.
Bei der Klägerin handelt es sich um eine aus Rechtsanwälten bestehende Sozietät in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). In den Streitjahren waren an ihr die Rechtsanwälte L. zu 50 %, Dr. S. und K. zu jeweils 25 % beteiligt. Neben diesen waren in der Sozietät zwischen 1998 und 2001 durchschnittlich 10 Rechtsanwälte, 6 Rechtsanwaltsgehilfen, 1 Bürokauffrau, 4 juristische Mitarbeiter sowie auszubildende Rechtsanwaltsgehilfen beschäftigt. Die Klägerin ermittelte ihren Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung gem. § 4 Abs. 3 EStG und erklärte Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit. Das FA stellte die Grundlagen für die Einkommensbesteuerung zunächst im Wesentlichen erklärungsgemäß als Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit gesondert und einheitlich fest (1998: 757.214,00 DM; 1999: 725.831,00 DM; 2000: 497.825,00 DM). Die Bescheide standen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
Zwischen November 2003 und März 2004 fand bei der Klägerin eine Außenprüfung statt. Diese stellte fest, dass RA L. seit Ende 1995 neben der Wahrnehmung rechtsanwaltlicher Mandate von dem Amtsgericht S. mehrfach als Gesamtvollstreckungsverwalter bzw. als Insolvenzverwalter sowie von dem Amtsgericht B. als Zwangsverwalter bestellt worden war. RA L. hatte 1998 insgesamt 71 Gesamtvollstreckungsverfahren übernommen, von denen 15 eröffnet worden waren. 1999 hatte er 72 Insolvenzverfahren übernommen. Davon waren 53 Unternehmensinsolvenzen, von denen 25 Verfahren eröffnet worden waren. 2000 hatte er insgesamt 42 Verfahren übernommen, davon 22 Unternehmensinsolvenzen, von denen 9 eröffnet wurden. Von dem Gesamtumsatz der Klägerin entfielen folgende Anteile auf Umsätze aus Gesamtvollstreckung bzw. Insolvenzverwaltung (in DM)
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1998 |
1999 |
2000 |
Gesamtumsatz |
2.641.407 |
2.816.752 |
2.842.241 |
Umsatz aus GesV/InsV |
421.679 |
468.702 |
351.656 |
Prozentualer Anteil |
15,96 % |
16,64 % |
12,37 %. |
Das FA stellte weiter fest, dass neben RA L. mehrere Arbeitnehmer der Klägerin im Bereich der Gesamtvollstreckung, Insolvenz- und Zwangsverwaltung tätig waren, nämlich
die Rechtsanwälte A. (1.11.1997 – 31.8.1999) und Fred Lessel (1.11.99 – 31.12.01),
die Angestellten E. (1.8.97 – 30.6.00) und Christian Heydt (ab 1.8.99),
der Buchhalter L. (ab 1.1.99), sowie
die Rechtsanwaltsfachangestellte B. (27.6.98 – 14.5.99) und
die Sekretärin H. (ab 1.5.98).
1998 wurde die S. GmbH mit dem (zeitweiligen) Geschäftsführer A. als Subunternehmerin mit verschiedenen Aufgaben im Rahmen der von RA L. betriebenen Gesamtvollstreckungsverwaltung beauftragt (Lohn- und Finanzbuchhaltung; Ausstellung von Verdienstbescheinigungen, Berechnung von Konkursausfallgeld, Zuarbeit an Krankenkassen, USt-Erklärungen, Sequestration)...