rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Anordnung wegen Vollstreckungsmaßnahmen
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein unangemessener Nachteil im Sinne des § 258 AO kann vorliegen, wenn die wirtschaftliche, persönliche Existenzvernichtung z. B. infolge des Verlustes des Arbeitsplatzes bzw. der Erwerbsmöglichkeit oder infolge wahrscheinlich eintretender Insolvenz droht.
2. Die Unbilligkeit einer Vollstreckungsmaßnahme scheidet aus, wenn die behauptete drohende Existenzvernichtung durch Anwendung von Schuldnerschutzvorschriften (§ 319 AO in Verbindung mit §§ 850 ff. ZPO) verhindert werden kann.
3. Die behauptete Rechtswidrigkeit der der Vollstreckung zugrunde liegenden Verwaltungsakte kann die Voraussetzungen des § 258 AO erfüllen, wenn der Antragsteller rechtzeitig einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt hat und dieser zwar noch nicht beschieden ist, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass er Erfolg haben wird.
4. Eine Regelungsanordnung darf nur eine einstweilige Regelung enthalten und das Ergebnis des Hauptprozesses nicht vorwegnehmen oder diesem endgültig vorgreifen.
Normenkette
AO §§ 256, 258, 309, 314, 319; FGO §§ 69, 114; ZPO § 850 ff.
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Mit Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom […] Januar 2023 pfändete der Antragsgegner gegenüber der […] (KZVXX) als Drittschuldner die Forderungen der Antragstellerin wegen Abgabenrückständen in Höhe von [… 2,5 Millionen EUR]. Die KZVXX leistete aufgrund dieser Pfändungs- und Einziehungsverfügung an den Antragsgegner bisher Zahlungen in Höhe von [… 150.000 EUR] (sechs Teilzahlungen […]). Gegen diese Pfändungs- und Einziehungsverfügung hat die Antragstellerin beim Antragsgegner wiederholt Einwendungen erhoben.
Mit Schreiben vom 19. Juni 2023 wendete sich die Antragstellerin an den Antragsgegner und forderte diesen auf, die Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom […] Januar 2023 aufzuheben und die bisher vereinnahmten Gelder unverzüglich an die KZVXX zurückzuzahlen. Den Antrag, die Pfändungs- und Einziehungsverfügung aufzuheben, begründete sie damit, dass eine unzumutbare Härte vorliege. Es könnten weder die Gehälter und Sozialabgaben noch die monatlichen Mieten für die Praxis bezahlt werden. Außerdem könnten die Leistungen des Dentallabors, mit dem seit Jahren zusammen gearbeitet werde, nicht bezahlt werden. Außerdem sei die Pfändung auch deshalb rechtswidrig, weil die behaupteten Steuerrückstände in dieser Höhe nicht vorliegen würden. Die festgesetzte Einkommensteuer 2009 würde nämlich 0 EUR betragen, wenn die Verlustvorträge zum 31.12.2002 in Höhe von […] berücksichtigt werden würden. Auch sei der Verlustvortrag zum 31.12.2001 über […] bisher unberücksichtigt geblieben. Bei der gepfändeten Forderung handele es sich um unpfändbares Fremdgeld und nicht um frei verfügbare Erträge. Außerdem beantragte die Antragstellerin beim Antragsgegner in diesem Schreiben die sofortige Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheides für 2009.
Mit Schreiben vom 4. Juli 2023 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung sowie auf Aufhebung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung und auf Rückzahlung der von der KZVXX abgeführten Gelder ab.
Mit Schriftsatz vom 10. Juli 2023 wendete sich die Antragstellerin an das Finanzgericht (FG) und beantragte die Aufhebung der Vollziehung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Antragsgegners vom […] Januar 2023 unter Hinweis auf § 69 Finanzgerichtsordnung (FGO) für die Dauer des Einspruchsverfahrens. Mit Beschluss vom 16. August 2023 (Az. 12 V 1381/23) lehnte der Senat den Antrag auf Aufhebung der Vollziehung und den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung für die Dauer des Einspruchsverfahrens (aufgrund der Einsprüche vom 22. Mai 2023 und 19. Juni 2023) ab. Der Antrag auf Aufhebung der Vollziehung wurde als unzulässig abgelehnt, da die Aufhebung der Vollziehung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung die Hauptsache vorwegnehmen würde. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wurde als unbegründet zurückgewiesen, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Pfändungs- und Einziehungsverfügung bestanden und keine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte vorliegt.
Die Antragstellerin legte mit Schreiben vom 18. September 2023 Einspruch gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Antragsgegners vom […] Januar 2023 ein. Den erneuten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz vom 14. Dezember 2023 an das FG mit dem Ziel, die Aufhebung der Vollziehung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Antragsgegners vom […] Januar 2023 unter Hinweis auf § 69 FGO zu erreichen, lehnte der Senat mit Beschluss vom 15. Januar 2024 (Az. 12 V 2425/23) ab.
Mit Schreiben vom 7. Januar 2024 hat die Antragstellerin zusätzlich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, die der Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom […] Januar 2...