Entscheidungsstichwort (Thema)
Abzug von Aufwendungen für betrieblich genutzten Raum einer Wohnung bei nichtehelicher Lebensgemeinschaft
Leitsatz (redaktionell)
1. Aufwendungen für einen betriebsstättenähnlichen Raum der Wohnung unterliegen nicht der Abzugsbeschränkung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG für ein häusliches Arbeitszimmer, weil eine diese Beschränkung rechtfertigende private Mitnutzung praktisch ausgeschlossen werden kann (BFH, Urteil v. 29.1.2020, VIII R 11/17, BStBl 2020 II S. 445).
2. Müssen Kunden und Geschäftspartner ein dem privaten Bereich zuzuordnendes Durchgangszimmer durchqueren, um in den betrieblich genutzten Raum zu gelangen, kann dennoch ein betriebsstättenähnlicher Raum gegeben sein. Dies ist der Fall, wenn die dadurch gegebene räumliche Verbindung zu den privat genutzten Räumen angesichts der Ausstattung des Raums und der tatsächlichen betrieblichen Nutzung nicht entscheidend ins Gewicht fällt (BFH, Urteil v. 29.1.2020, VIII R 11/17, BStBl 2020 II S. 445).
3. Die auf den betriebsstättenähnlichen Raum entfallenden Aufwendungen für die Wohnung sind abziehbar bis zu dem Betrag, den der Steuerpflichtige für die Wohnung getragen hat. Es wird davon ausgegangen, dass der Aufwand des Steuerpflichtigen primär auf den beruflich genutzten Raum entfällt (vgl. zu Ehegatten BFH, Urteil v. 15.12.2016, VI R 86/13, BStBl 2017 II S. 941). Dies gilt auch bei nichtehelicher Lebensgemeinschaft jedenfalls dann, wenn der vom Steuerpflichtigen getragene Betrag die auf den Raum entfallenden Aufwendungen übersteigt.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 4, § 5 S. 1 Nr. 6b
Tenor
1. Unter Änderung des Bescheids vom 2. November 2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. März 2018 wird die Einkommensteuer 2016 nach Maßgabe der Urteilsgründe herabgesetzt. Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Streitig ist der Abzug von Aufwendungen für einen betrieblich genutzten Raum in einer von der Klägerin und Herrn X gemieteten Wohnung.
In ihrer Einkommensteuererklärung für 2016 erklärte die Klägerin u. a. einen gem. § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG) durch Gegenüberstellung der Einnahmen und Ausgaben ermittelten Gewinn aus selbständiger Arbeit in Höhe von 12.775,73 EUR. Als Betriebsausgaben machte sie u. a. Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer in Höhe von 1.644,30 EUR geltend.
Mit Bescheid vom 2. November 2017 setzte das beklagte Finanzamt (FA) die Einkommensteuer 2016 auf 545 EUR fest. Dabei legte das FA u. a. Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 14.420 EUR zu Grunde. Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer hätten ohne Nachweise nicht berücksichtigt werden können.
Der dagegen eingelegte, aber von der Klägerin nicht begründete Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 29. März 2018).
Ihre Klage begründet die Klägerin im Wesentlichen wie folgt.
Es handele sich um ein mit Geräten zu Pilatesübungen ausgestattetes Zimmer. Weiter legte die Klägerin u. a. folgende Unterlagen vor:
- • Fotos des Zimmers,
- • Mietvertrag der Klägerin zusammen mit Herrn X ab April 2016 über eine Wohnung (zwei Zimmer und ein Kelleranteil, Wohnfläche gesamt 81,42 qm, Miete monatlich 1.120 EUR zzgl. Betriebskostenvorauszahlung 125 EUR und Garage 60 EUR = 1.305 EUR),
- • Zahlungsnachweise für Mai bis Dezember 2016 monatlich 670 EUR an Herrn X, für April 400 EUR = 5.760 EUR,
- • Skizze der Grundfläche der Wohnung (vermessen 82,70 qm): Arbeitszimmer 10,4 qm im UG,
- • Schreiben der Stadtwerke an die Klägerin und Herrn X vom 15. Januar 2017: bis 31. Dezember 2016 geleistete Zahlungen 378 EUR (Kontoverbindung des Herrn X genutzt) sowie
- • eine Erläuterung der Tätigkeiten im Arbeitszimmer, das nicht privat genutzt werde.
Die Klägerin beantragt,
unter Änderung des Bescheids vom 2. November 2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. März 2018 bei Einkünften aus Gewerbebetrieb weitere Betriebsausgaben in Höhe von 1.644,30 EUR zu berücksichtigen und die Einkommensteuer 2016 entsprechend herabzusetzen.
Das FA beantragt,
unter Änderung des Bescheids vom 2. November 2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. März 2018 bei Einkünften aus Gewerbebetrieb weitere Betriebsausgaben in Höhe von 738,76 EUR zu berücksichtigen und die Einkommensteuer 2016 entsprechend herabzusetzen.
Zur Klageerwiderung führt das FA im Wesentlichen Folgendes aus:
Zugestanden werde ein Abzug der Aufwendungen für den von der Klägerin zu 100 % betrieblich genutzten Raum in Höhe von 738,76 EUR, der sich wie folgt errechnet: Miete 11.745 EUR × (10,4 von 82,7 qm =) 12,58 % × 50 %. Bei Nicht-Ehegatten stünden jedem Steuerpflichtigen die von ihm getragenen Kosten zu. Lebten Steuerpflichtige wie hier gemeinsam in einer Wohnung, könne grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass jeder 50 % der Aufwendungen getragen habe und 50 % der Aufwendungen für die von ihm beruflich genutzten Räume ...