rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeld. Rückzahlungsforderung. Erlass. sachliche Zuständigkeit. Inkasso-Service. Familienkasse Nordrhein-Westfalen Nord

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Bescheid, mit dem die Bundesagentur für Arbeit Agentur für Arbeit Recklinghausen Familienkasse Inkasso-Service (Inkasso-Service) einen Antrag, die Rückzahlung zu Unrecht gezahlten Kindergelds wegen Unbilligkeit zu erlassen, ablehnt, ist wegen sachlicher Unzuständigkeit rechtswidrig und aufzuheben.

Die Einspruchsentscheidung der Familienkasse Nordrhein-Westfalen Nord als nicht für den Wohnort des Antragstellers zuständiger Familienkasse über einen Einspruch gegen die Ablehnung eines Erlassantrags durch den Inkasso-Service ist wegen sachlicher Unzuständigkeit rechtswidrig und aufzuheben.

 

Normenkette

FVG § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 11, § 17 Abs. 2; AO §§ 16, 6 Abs. 2 Nr. 6, § 227; FGO § 101

 

Tenor

1. Der Bescheid über die Ablehnung des Erlasses der Rückforderung von Kindergeld vom 23. Mai 2019 und die Einspruchsentscheidung vom 15. Oktober 2019 werden aufgehoben.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger und die Beklagte je zur Hälfte.

3. Der Gerichtsbescheid ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Streitig ist, ob der Erlass einer Forderung gegen den Kläger wegen der Rückzahlung von Kindergeld in Höhe von 8.927 EUR zu Recht abgelehnt worden ist.

Der Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger und lebt seit Oktober 2010 mit seiner Ehefrau und drei Kindern in Deutschland; im Jahr 2013 wurde ein weiteres Kind geboren. Jedenfalls seit März 2017 ist der Kläger im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet Aufenthaltsgesetz (AufenthG); ihm ist eine Beschäftigung gestattet.

Nach Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung ab Mitte Mai 2017 bezog der Kläger nach Vorlage einer Meldebescheinigung zur Sozialversicherung und einer Lohnabrechnung für Juni 2017 (Arbeitgeber: E) aufgrund des Bescheids des Familienkasse X vom 21. August 2017 ab Mai 2017 für seine Kinder Kindergeld; für das älteste Kind, das am 15. April 2000 geboren ist, wurde Kindergeld zusätzlich ab Mai 2018 bzw. August 2018 auch aufgrund Bescheiden der Familienkasse X vom 13. März und 12. September 2018 festgesetzt. Für Mai bis August 2017 wurde das Kindergeld an den Kläger unter Hinweis auf den vom Jobcenter geltend gemachten Erstattungsanspruch nach § 74 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht ausgezahlt. Die Beendigung eines seit Oktober 2017 bestehenden Arbeitsverhältnisses (Arbeitgeber: S) zum 30. April 2018 teilte der Kläger der Familienkasse X zunächst nicht mit, sondern aufgrund Nachfrage der Familienkasse X erst mit Schreiben vom 23. November 2018, das am 11. Januar 2019 bei der Familienkasse X eingegangen ist. Demgemäß hob die Familienkasse X die Kindergeldfestsetzung für die Zeiträume August bis September 2017 sowie Mai 2018 bis Januar 2019 mit bestandskräftigem Bescheid vom 11. Februar 2019 auf und forderte das in diesen Zeiträumen überzahlte Kindergeld in Höhe von insgesamt 8.927 EUR zurück.

Der Kläger hatte für diese Zeiträume Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) erhalten. Ausweislich der Bescheide des Jobcenters war bei der Berechnung der Leistungen für die Bedarfsgemeinschaft das Kindergeld – mit Ausnahme des Monats August 2017 – jeweils als Einkommen berücksichtigt worden.

Mit Schreiben vom 20. Februar 2019 beantragte der Kläger bei der Bundesagentur für Arbeit Agentur für Arbeit Recklinghausen Familienkasse Inkasso-Service (Inkasso-Service), den zurückgeforderten Betrag von 8.927 EUR wegen Unbilligkeit zu erlassen. Wegen des Wegfalls seiner Arbeitsstelle und dem daraus resultierenden Wegfall des Kindergeldanspruchs verfüge er nur noch über Leistungen nach dem SGB II. Im Übrigen sei während des Kindergeldbezugs eine Anrechnung des Kindergelds durch das Jobcenter erfolgt. Die Rückzahlung des Kindergelds stelle für ihn eine besondere Härte dar.

Diesen Antrag lehnte der Inkasso-Service mit Bescheid vom 23. Mai 2019 ab und führte zur Begründung aus, dass ein Erlass wegen persönlicher Unbilligkeit wegen einer Mitwirkungspflichtverletzung des Klägers nach § 68 EStG nicht in Betracht komme. Nach Auskunft der Familienkasse X hätte der Kläger die Rückforderung zumindest teilweise durch rechtzeitige Mitwirkung verhindern können. Der Kläger sei daher nicht erlasswürdig. Gründe für eine sachliche Unbilligkeit seien weder vorgetragen noch vorliegend erkennbar.

Der hiergegen erhobene Einspruch blieb in der Einspruchsentscheidung der Beklagten (der Familienkasse) vom 15. Oktober 2019 ohne Erfolg. Ein Erlass a...

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