Entscheidungsstichwort (Thema)
Erneuter Gerichtsbescheid nach Antrag auf mündliche Verhandlung bei veränderter Prozesslage. Wiedereinsetzung. Erkrankung des Bevollmächtigten. kein Büroversehen, wenn Bürokraft als Vertreter im Verantwortungsbereich des Bevollmächtigten tätig wird
Leitsatz (redaktionell)
1. Wird nach Erlass eines Gerichtsbescheids mündliche Verhandlung beantragt, so kann wegen veränderter Prozesslage erneut durch Gerichtsbescheid entschieden werden, wenn nunmehr über Fragen zu befinden ist, die bei Erlass des ursprünglichen Gerichtsbescheids keine Rolle gespielt haben.
2. Ist der Prozessbevollmächtigte bereits vor Antritt seines Urlaubs in einer Streitsache tätig geworden, und wird nach der urlaubsbedingten Unterbrechung eine erneute Überprüfung des Fristablaufs erforderlich, so gehört diese zu den eigenen, nicht auf das Büropersonal übertragbaren Angelegenheiten des Bevollmächtigten, mit der er im Falle krankheitsbedingter Verhinderung einen Vertreter zu beauftragen hat.
3. Wird eine Bürokraft zulässigerweise als Vertreter im Verantwortungsbereich des Bevollmächtigten tätig, so stellt ein ihr dabei unterlaufender Fehler kein Büroversehen dar.
4. Urteil nach mündlicher Verhandlung. Zuvor war am 6.9.2005 unter dem Az. 7 K 725/03 ein Gerichtsbescheid ergangen, an dessen Begründung im vorliegenden Urteil festgehalten wurde.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1, § 90a Abs. 1, 2 S. 1, Abs. 4
Tenor
1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Mit Schriftsätzen vom 15. Februar 2003 erhob der Prozessbevollmächtigte für die Klägerin Klagen gegen die für die Streitjahre (1996, 1997 und 1998) ergangenen Steuerbescheide. Er kündigte an, Vollmacht, Begründung und Antragstellung nachzureichen.
Nach Eingang der Klageschriften wurde die Klägerin formlos aufgefordert, u.a. den Gegenstand des Klagebegehrens bis zum 31. März 2003 zu bezeichnen. Nachdem seitens des Bevollmächtigten daraufhin eine Äußerung nicht mehr erfolgt war, setzte der in der Sache bestellte Berichterstatter mit Anordnung vom 15. September 2003 u.a. eine Frist mit ausschließender Wirkung zur Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bis zum 20. Oktober 2003.
Durch Gerichtsbescheide vom 23. Oktober 2003 (dem Bevollmächtigten zugestellt am 29. Oktober 2003) wurden die Klagen wegen Versäumung der Ausschlussfrist abgewiesen.
Mit Schriftsätzen vom 30. Oktober 2003, die dem Gericht am 1. November 2003 vorab per Telefax übermittelt wurden, begründete der Prozessbevollmächtigte unter Bezugnahme auf die Anordnungen vom 15. September 2003 die Klagen und beantragte, die Steuern auf die im Einzelnen bezeichneten Beträge herabzusetzen. In weiteren Schriftsätzen vom 11. November 2003, die dem Gericht am gleichen Tag per Telefax übermittelt wurden, stellte der Bevollmächtigte Antrag auf mündliche Verhandlung gegen die ergangenen Gerichtsbescheide und beantragte zugleich, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Ausschlussfristen zu gewähren. Dazu führte er aus, er habe erst am 28. Oktober 2003 von der Fristversäumung erfahren. Bis zu seinem Urlaubsabreisetag am 27. September 2003 sei die übliche Fristüberwachung persönlich durchgeführt worden. Mit der Fristüberwachung sei auch Frau G beauftragt. Bei der bisherigen Tätigkeit von Frau G habe der Bevollmächtigte keine Versäumnisse feststellen können. Vom 27. September 2003 bis einschließlich 12. Oktober 2003 habe sich der Bevollmächtigte auf einem Erholungsurlaub befunden. Sämtliche Fristen, die bis zum 17. Oktober 2003 zu berücksichtigen gewesen seien, seien durch den Bevollmächtigten kontrolliert und noch vor dem 27. September 2003 abgearbeitet worden. Am 26. September 2003 sei u.a. auch bereits die 26. Kalenderwoche vorgearbeitet worden, insbesondere z.B. das gegenständliche Verfahren. Bedauerlicherweise sei der Bevollmächtigte aus dem Urlaub mit schwerem Infekt zurückgekommen und habe infolgedessen seinen beruflichen Pflichten bis einschließlich 27. Oktober 2003 nicht nachgehen können. Aufgrund der schweren Medikamente und des allgemeinen Zustandes habe der Bevollmächtigte auch kaum die Wohnung verlassen. Er habe gewusst, dass vor dem 17. Oktober 2003 keine Fristen einzuhalten gewesen seien. Trotzdem habe er Frau G am Freitag, den 17. Oktober 2003, telefonisch angewiesen, die Fristüberwachung genau vorzunehmen, da der Bevollmächtigte die nächsten Tage keine zusätzlichen Kontrollen selbst vornehmen könne. Für Fristen sei Rücksprache zu halten oder vorsorglich Einspruch einzulegen. Auf die ausdrückliche Frage, wann die Frist in Sachen der Klägerin ablaufen würde, habe dies Frau G, nachdem sie die Fristen durchgesehen habe, mit dem Datum „30. Oktober 2003” beantwortet. Daraufhin bestand für den Bevollmächtigten kein Anlass tätig zu werden, u.a. deswegen, weil der Schriftsatz im Wesentlichen fertig gestellt gewesen sei und er zu diesem Zeitpunkt naturgemäß habe hoff...