Entscheidungsstichwort (Thema)
Fehlende Vorlage der Prozessvollmacht
Leitsatz (redaktionell)
1. Begehrt ein Steuerberater oder Rechtsanwalt als Bevollmächtigter des Klägers Akteneinsicht, ohne zugleich eine schriftliche Vollmacht vorzulegen, hat das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob die Gewährung der Akteneinsicht von der Vorlage einer Vollmacht abhängig gemacht wird. In der Weigerung zur Vorlage der Vollmacht nach § 62 Abs. 6 Satz 1 FGO kann ein Indiz für das Fehlen der Bevollmächtigung zu sehen sein.
2. Fehlt der Nachweis der Vollmacht als Sachentscheidungsvoraussetzung führt der Mangel nach § 62 Abs. 6 Satz 4 FGO zur Abweisung des Klagebegehrens als unzulässig.
3. Die Entscheidung ergeht gegenüber dem angeblich Vertretenen als Beteiligtem und ist diesem zuzustellen.
Normenkette
FGO § 62 Abs. 6, § 78; StBerG § 3 S. 1 Nr. 1
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die als vollmachtlose Vertreterin aufgetretene [… StB].
Tatbestand
I.
Mit Schriftsatz vom 17. August 2023 erhob die Steuerberaterin […] (StB) im Namen des Klägers Klage gegen die Einkommensteuerbescheide für 2016, 2017, 2018 und 2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. Juli 2023 (Donnerstag). Begehrt wird die antragsgemäße Berücksichtigung der geltend gemachten Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit ohne Hinzurechnung von ausländischem Arbeitslohn wegen Anwendung des Freistellungsverfahrens.
Ausweislich des Prüfvermerks (Dok-Nr. 8) ging die aus dem besonderen elektronischen Steuerberater-Postfach der StB übermittelte Klageschrift am 18. August 2023 um 10:40 Uhr beim Finanzgericht ein. In diesem Schriftsatz wurde darauf hingewiesen, dass die Einspruchsentscheidung am 18. Juli 2023 zugegangen sei. Außerdem kündigte StB an, die Klagebegründung und Prozessvollmacht binnen eines Monats nachzureichen. Mit Schriftsatz vom 10. Oktober 2023 wurde die Klage – nach Gewährung einer Fristverlängerung – begründet. In den Schreiben vom 17. August 2023 und 10. Oktober 2023 wurde von StB Akteneinsicht beantragt.
Der Kläger beantragt derzeit,
die Einkommensteuerfestsetzungen für 2016, 2017, 2018 und 2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. Juli 2023 aufzuheben,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
In seiner Stellungnahme vom 8. November 2023 wies der Beklagte, das Finanzamt, darauf hin, dass die Klagefrist versäumt worden sei.
Am 15. November 2023 übersandte der Beklagte die Steuerakten zum Streitfall.
Mit Anordnung vom 8. November 2023 wurde der Kläger (vertreten durch StB) aufgefordert, den Zugang der Einspruchsentscheidung am 18. Juli 2023 nachzuweisen. Ausweislich des Zustellprotokolls (Dok-Nr. 38) ging diese Anordnung am 9. November 2023 auf dem Server der StB ein. Mit gerichtlichem Schreiben vom 21. November 2023 wurde StB darüber informiert, dass die Steuerakten des Beklagten beim Finanzgericht eingegangen sind und das Akteneinsicht nach Vorlage einer Prozessvollmacht genommen werden kann (Dok-Nr. 43). Da auf die richterliche Anordnung vom 8. November 2023 keine Stellungnahme erfolgte, wurde der Kläger (vertreten durch StB) erneut mit Anordnung vom 15. Januar 2024 aufgefordert, den Zugang der Einspruchsentscheidung am 18. Juli 2023 nachzuweisen. Ausweislich des Zustellprotokolls (Dok-Nr. 46) ging diese Anordnung am 16. Januar 2024 auf dem Server der StB ein; das elektronisches Empfangsbekenntnis wurde nicht zurückgesendet. Mit Schreiben vom 1. März 2024 wurde StB vom Berichterstatter darauf hingewiesen, dass die Anordnungen vom 8. November 2023 und vom 16. Januar 2024 noch nicht beantwortet sind und dass auch das elektronischen Empfangsbekenntnis zu der Anordnung vom 15. Januar 2024 nicht zurückgesendet wurde.
Mit Schreiben vom 28. Februar 2024 führte StB für den Kläger aus, dass der Beklagte bereits im Vorfeld der Klage über den verspäteten Zugang der Einspruchsentscheidung informiert worden sei. Zusätzlich wurde erneut Akteneinsicht beantragt und gebeten, die Akten zum Finanzamt [… G-Stadt] zu übersenden.
Mit weiterer Anordnung vom 1. März 2024 wurde der Kläger (vertreten durch StB) erneut aufgefordert, den Zugang der Einspruchsentscheidung am 18. Juli 2023 nachzuweisen und außerdem aufgefordert, den Ansprechpartner beim Beklagten zu benennen, der über den verspäteten Zugang der Einspruchsentscheidung informiert worden sei. Diese Anordnung wurde der StB mit Postzustellungsurkunde am 6. März 2024 (Dok-Nr. 59) zugestellt. Ausweislich des Zustellprotokolls ging diese Anordnung am 4. März 2024 (Dok-Nr. 55) auf dem Server der StB ein; das elektronisches Empfangsbekenntnis wurde nicht zurückgesendet.
Mit Schreiben vom 4. März 2024 wurde StB von der Senatsgeschäftsstelle nochmals aufgefordert, vor die Gewährung von Akteneinsicht eine Prozessvollmacht vorzulegen. Eine Vorlage der Prozessvollmacht erfolgte jedoch nicht.
Mit Anordnung vom 2. Mai 2024 wurde der Kläger vertreten durch StB mit richterlicher Anordnung aufgefordert, in der Frist bis...