Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachträgliches Bekanntwerden von Tatsachen/Beweismitteln nach § 173 Abs. 1 AO. Grobes Verschulden wegen fehlender Einspruchseinlegung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Maßgeblicher Zeitpunkt, ob der Behörde entscheidungserhebliche Tatsachen/Beweismittel nachträglich im Sinne des § 173 AO bekannt geworden sind, ist der Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides. Schließt sich ein Einspruchsverfahren an, kommt es auf den Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidung an, wenn eine erneute Sachprüfung durchgeführt wurde. Das ist bei einem wegen Verfristung als unzulässig zurückgewiesenen Einspruch nicht der Fall.

2. Ein grobes Verschulden im Sinne des § 173 Abs.1 Nr. 2 Satz 1 AO kann auch darin bestehen, dass es der Steuerpflichtige unterlässt, gegen einen Steuerbescheid Einspruch einzulegen, obwohl sich ihm innerhalb der Einspruchsfrist die Geltendmachung von der Behörde bisher nicht bekannten Tatsachen hätte aufdrängen müssen.

 

Normenkette

EStG § 31 S. 3, § 70 Abs. 2; AO § 155 Abs. 4; EStG § 173 Abs. 1 Nr. 2, § 367 Abs. 2 S. 1

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

Der Kläger bezog laufend Kindergeld für seine Tochter S. (geboren am 5. Oktober 1993). Mit Bescheid vom 10. September 2015 hob die Beklagte (die Familienkasse) die Festsetzung des Kindergeldes für S ab Oktober 2015 auf. Der Kläger brachte daraufhin vor, dass S. im Sommersemester 2015 ein Studium der Zahnmedizin begonnen habe. Aus der vorgelegten Studienbescheinigung geht hervor, dass die Einschreibung an der Universität F am 30. März 2015 erfolgte. Mit Bescheid vom 27. Januar 2016 setzte die Familienkasse daraufhin Kindergeld für S ab Oktober 2015 fest.

Mit Bescheid vom 11. Oktober 2018 hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für S ab November 2018 gemäß § 70 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) auf. Zur Begründung führte sie an, dass S. im Oktober 2018 das 25. Lebensjahr vollendet habe und der Kindergeldanspruch grundsätzlich mit Vollendung des 25. Lebensjahres ende. Der Kläger wurde zugleich aufgefordert, das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres nachzuweisen (vgl. Erläuterungen zum Bescheid vom 11. Oktober 2018). Mit Schreiben vom 22. Januar 2019 wies die Familienkasse den Kläger darauf hin, dass er den Anspruch auf Kindergeld für S. für den Zeitraum April 2015 bis Oktober 2018 trotz Aufforderung nicht nachgewiesen habe. Aufgrund dieses Sachverhalts sei zu prüfen, ob die Kindergeldfestsetzung aufzuheben sei und er zu viel gezahltes Kindergeld für diesen Zeitraum erstatten müsse. Der Kläger erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme bis 8. Februar 2019.

Mit Bescheid vom 14. Februar 2019 hob die Familienkasse die Festsetzung des Kindergeldes für das Kind S. für den Zeitraum von April 2015 bis einschließlich Oktober 2018 gemäß § 70 Abs. 2 EStG auf und forderte Kindergeld in Höhe von 8.216 EUR für diesen Zeitraum zurück. Im Bescheid wurde erläutert, dass der Kläger der Aufforderung, Nachweise über das Ende bzw. die Fortdauer des Studiums einzureichen, nicht nachgekommen sei. In der Rechtsbehelfsbelehrung zu diesem Bescheid wird u.a. ausgeführt, dass ein Einspruch bei der Familienkasse schriftlich einzureichen, dieser elektronisch zu übermitteln oder dort zur Niederschrift zu erklären ist. Die E-Mail-Adresse der Familienkasse (…) wurde im Bescheid (Briefkopf) angeführt.

Am 25. März versandte der Kläger ein Fax an die Familienkasse, sowie ein Schreiben per Einschreiben, das am 27. März 2019 bei der Familienkasse einging. Er übersandte die am 23. August 2018 ausgestellte Immatrikulationsbescheinigung seiner Tochter für das Wintersemester 2018/2019. Er gab an, dass er die Bescheinigung schon mehrfach an die Familienkasse übersandt habe. Da ihm auf erneute Anfrage mitgeteilt worden sei, dass seine dritte Nachricht mit der Studienbescheinigung von S. wieder nicht eingegangen sei, habe er diese nunmehr per Fax als auch per Einschreiben übersandt. Als Anlage fügte er einen Ausdruck von zwei E-Mails bei. Aus dem Ausdruck geht hervor, dass er die E-Mails am 25. Januar 2019 und am 18. Februar 2019 versendet hat. Als Empfänger weisen beide E-Mails die Familienkasse mit folgender E-Mail-Adresse aus:

…. Beide E-Mails haben folgenden Inhalt:

„Sehr geehrte Damen und Herren, wie telefonisch besprochen und mit Bezug zu Ihrem Schreiben vom 22.1. bitte finden sie anbei die aktuelle Studienbescheinigung unserer Tochter S.. Vielen Dank für eine kurze Bestätigung, dass damit das Thema geklärt ist (…).” In beiden E-Mails wird die Immatrikulationsbescheinigung (als pdf) als Anlage angeführt.

Die Familienkasse wertete das Schreiben vom 25. März 2019 als Einspruch gegen den Bescheid vom 14. Februar 2019. Sie wies den Kläger darauf hin, dass ihm bei Eingabe der E-Mail-Adresse des Empfängers (Familienkasse) ein Fehler unterlaufen sei (Arbeitsargentur statt Arbeitsagentur) und beide E-Mails bzw. die Immatrikulationsbescheinigung die Familienka...

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