rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Übersehen eines Progressionsvorbehalts
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Fehler i.S. des § 129 AO 1977 kann auch offenbar sein, wenn er mehrmals hintereinander oder mehreren Personen passiert (vgl. BFH-Urteil vom 10.9.1987 - V R 69/84, BStBl II 1987, 834).
2. Zur Berichtigung eines Erbschaftsteuerbescheides wegen offenbarer Unrichtigkeit nach § 129 AO 1977, weil bei der Änderung des Bescheids im Einspruchsverfahren - im Gegensatz zum Vorbescheid - die Anwendung des Progressionsvorbehalts nach § 19 Abs. 2 ErbStG vergessen wurde.
3. Ein Rechtsfehler kann ausgeschlossen werden, wenn der zuständige Bearbeiter in der Akte dokumentiert, dass er sich in einer Rechts- oder Sachverhaltsfrage für eine bestimmte Lösung entschieden hat.
Normenkette
AO 1977 § 129; ErbStG § 19 Abs. 2
Gründe
Streitig ist, ob bei Anwendung eines falschen Steuersatzes im Falle des Progressionsvorbehaltes nach § 19 Abs. 2 Erbschaftsteuergesetz (EbStG) eine ähnliche offenbare Unrichtigkeit nach § 129 AO vorliegt, die vom FA berichtigt werden kann.
I.
Die Klägerin (Klin) ist Alleinerbin aufgrund privatschriftlichen Testaments nach ihrer am 04.03.1989 verstorbenen Mutter ... (Erblasserin = Erblin).
Zum Nachlaß gehörte u. a. ein Einfamilienhaus in .../Tirol, Österreich (Verkehrswert am Todestag lt. Erklärung = 2.766.400,– ÖS = 393.936,– DM), das aufgrund Art. 3 Abs. 1 des DBA mit der Republik Österreich vom 04.10.1954 nicht zum steuerpflichtigen Vermögensanfall nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 ErbStG gehört, jedoch nach § 19 Abs. 2 ErbStG i.V.m. Art. 7 DBA dem sog. Progressionsvorbehalt (Prog.Vorb.) unterliegt.
Wegen des im übrigen unbeschränkt steuerpflichtigen Erwerbs von Todes wegen setzte mit unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheid vom 17.07.1990 (Bl. 55/FA) das damals zuständige FA ... trotz Vermerk des Sachbearbeiters in der Akte (Bl. 43/FA) die Erbst auf 77.862 DM fest (Steuersatz 9,5 %).
Im endgültigen Bescheid vom 19.06.1992 erhöhte der Beklagte, das nun, mehr zuständig gewordene Finanzamt (FA) die ErbSt auf 102.036 DM unter Anwendung des Progressionsvorbehalts (s. Erläuterungstext zum Bescheid Bl. 120/Rs/FA).
Mit Abhilfebescheid vom 22.10.1992 (Bl. 141/FA) setzt das FA während des Einspruchsverfahrens die Steuer auf 78.223 DM herab ohne Anwendung des Progressionsvorbehalts, obwohl es noch bei der Berechnung der von der Vollziehung auszusetzenden Steuer den Progressionsvorbehalt mit berücksichtigt hatte (s. Bl. 133/FA), zumal der Klägervertreter den Grundstückswert mit nunmehr 545.000 DM angegeben hatte (s. Bl. 125/FA). Der Sachbearbeiter ist ebenfalls noch vom Progressionsvorbehalt (= 11 % Steuersatz) ausgegangen (s. Bl. 136/FA).
Mit gemäß § 129 AO berichtigten Bescheid vom 16.12.1994 (Bl. 160/FA) erhöhte das FA nach vorheriger Gewährung des rechtlichen Gehörs (Bl. 158 ff/FA) die ErbSt auf 85.544 DM unter Anwendung des Progressionsvorbehalts. Das Vergessen des Progressionsvorbehalts sah es als offenbare Unrichtigkeit an.
Der dagegen erhobene Einspruch blieb erfolglos (s. Einspruchsentscheidung – EE – vom 29.08.1997).
Mit der Klage trägt die Klin vor, daß die Voraussetzungen für eine Berichtigung des Bescheides nach § 129 AO nicht gegeben gewesen seien, weil ein Rechtsirrtum bei der Anwendung des – falschen – Steuersatzes von 9,5 % (statt 11 %) im Bescheid vom 22.10.1992 nicht auszuschließen sei. Der Fehler sei nur durch einen falschen Denkansatz möglich gewesen. Dieser Fehler sei eindeutig auf die Nichtwürdigung der Tatsache des Progressionsvorbehalts zurückzuführen:
Vor dem Senat hat am 5. Juli 2000 mündliche Verhandlung in öffentlicher Sitzung stattgefunden. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt,
den berichtigten ErbSt-Bescheid vom 16.12.1994 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.08.1997 aufzuheben.
Das Finanzamt beantragt
Klageabweisung.
Aus dem endgültigen Bescheid des FA vom 19.06.1992 sei ersichtlich, daß der zuständige Sachbearbeiter um die Anwendung des Progressionsvorbehalts wußte. Dies folge auch aus der Berechnung der AdV im dagegen erhobenen Einspruchsverfahrens. Lediglich aufgrund eines Flüchtigkeitsfehlers des Bearbeiters sei der Progressionsvorbehalt nicht angewandt worden. Aufgrund der eigenen Berechnung der Klin sei dies offenbar gewesen.
II.
Die Klage ist nicht begründet.
Der Senat schließt sich in vollem Umfang der bereits in der Einspruchsentscheidung vom 29.08.1997 gegebenen Begründung an, die keinen Rechtsfehler erkennen läßt und auf die er gemäß § 105 Abs. 5 FGO verweist.
Ergänzend führt er aus, daß bei einem Progressionsvorbehalt zwar oft die Möglichkeit eines Rechtsirrtums, sei es wegen Nichtkenntnis eines DBA oder wegen Fehlers in der Berechnung, nicht auszuschließen ist; hier war jedoch für den steuerlich vertretenen Stpfl. aufgrund der Vorgeschichte klar erkennbar, daß der Progressionsvorbehalt vergessen worden war. Ohne umfangreiche und zeitraubende Nachforschungen war für den Stpfl. ohne weitere Prüfung dies aus einem Vergleich mit de...