Entscheidungsstichwort (Thema)
Offenbare Unrichtigkeit. Verstoß gegen Dienstanweisung. Ermittlungspflicht. Risikomanagementsystem
Leitsatz (redaktionell)
1. Wird ein elektronisch übermittelter Überschuss aus Vermietungseinkünften bei Bearbeitung der komprimierten Einkommensteuererklärung lediglich kommentarlos abgehakt, ist für einen Dritten offenkundig, dass die erklärten und kommentarlos abgehakten Einkünfte zu versteuern sind.
2. Werden diese Einkünfte nicht in die Datenverarbeitung übernommen, liegt ein mechanisches Versehen vor.
3. Im Rahmen des § 129 AO werden Verschuldensgesichtspunkte im Sinne von Verstößen gegen Dienstanweisungen nur relevant, wenn sich Mängel bei der Ermittlung oder Würdigung des Sachverhalts möglicherweise und nicht nur theoretisch hätten auswirken können.
4. Eine Berufung des Beklagten auf eine Änderungsmöglichkiet nach § 129 AO ist nur dann rechtsmissbräuchlich, wenn sie aufgrund eklatanter Bearbeitungsmängel einen Verstoß gegen Treu und Glauben darstellt. Der Einsatz eines Risikomanagementsystems allein genügt diesen Anforderungen nicht.
Normenkette
AO § 129
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Die Kläger erzielen Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die Klägerin zudem aus nichtselbständiger Arbeit. Sie werden beim Beklagten, dem Finanzamt …, zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Streitig ist, ob die unstreitig erzielten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, die zunächst im Einkommensteuerbescheid 2008 nicht erfasst wurden, durch eine Änderung nach § 129 der Abgabenordnung (AO) noch besteuert werden können.
Die Kläger tragen vor, sie hätten ihre Einkommensteuererklärung 2008 über ihren steuerlichen Berater elektronisch per ELSTER-Modul der DATEV-Software an den Beklagten übermittelt und die ausgedruckte, von ihnen unterschriebene komprimierte Erklärung mit der Telenummer IT3 nachgereicht. Im Einkommensteuerbescheid vom 22. November 2010 seien die erklärten Einkünfte der Kläger aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 3.978 EUR nicht der Besteuerung unterworfen worden.
Mit Bescheid vom 19. April 2011 erging ein nach § 129 AO geänderter Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr. Der Beklagte erläuterte hierzu, die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung seien bei Erlass des Verwaltungsakts vom 22. November 2010 nicht übernommen worden. Diese offenbare Unrichtigkeit werde nunmehr berichtigt. Hiergegen legten die Kläger Einspruch ein und trugen vor, es seien innerhalb der Anlage V, Sachbereich 25, die von ihnen erklärten Angaben in den Kennziffern 101, 130, 152, 148, 149 und 120 zu übernehmen gewesen, sodass die Übernahme lediglich einer einzelnen Kennziffer deutlich sichtbar hätte werden müssen. Zudem gehe das Versehen nicht aus den Akten hervor. Es bestehe auch die Möglichkeit, dass die erklärten Einkünfte rechtsfehlerhaft nicht der Besteuerung unterworfen worden seien. Zudem scheide gemäß dem Urteil des Finanzgerichts Münster vom 13. Oktober 2010 7 K 4838/08 eine Berichtigung aus, da der Beklagte nicht seiner Amtsermittlungspflicht nachgekommen sei. Mögliche unterlassene amtsinterne Plausibilitätsprüfungen und Endkontrollen könnten nicht durch die Anwendung des § 129 AO ausgebügelt werden.
Mit Einspruchsentscheidung vom 29. November 2013 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Die Möglichkeit eines Fehlers, der die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit ausschließe, liege nicht vor. Die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung seien vielmehr seien versehentlich nicht in das Computerprogramm übertragen worden. Der eigentliche Wille zur Übernahme sei in einem Abhaken des Betrags – wie bei den übrigen Besteuerungsgrundlagen auch – manifestiert worden. Es liege eine bloße Unachtsamkeit oder Nachlässigkeit vor, die offen zutage liege. Deshalb liege auch keine Verletzung der Amtsermittlungspflicht vor.
Mit der Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Im Erörterungstermin vom 16.04.2015 wurde der Sach- und Rechtsstand mit den Beteiligten besprochen. Die Beteiligten erklärten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Einzelrichter. Auf die Niederschrift wird verwiesen. Am 19.05.2015 wurde ein Auskunftsersuchen an das Landesamt für Steuern Bayern, IT-Referat, gerichtet; auf dieses sowie auf dessen Beantwortung vom 24.06.2015 wird ebenso verwiesen. Mit Beschluss vom 23.07.2015 wurde Herr …, der das Auskunftsersuchen beantwortet hatte, als Zeuge bestellt, nachdem die Kläger die Befreiung vom Steuergeheimnis erklärt hatten. Aussagegenehmigung für den Zeugen liegt vor.
Auf Nachfrage des Gerichts erklären die Kläger, es liege kein Transferticket vor, das die Datenübertragung bestätige. Immerhin ergebe sich aus dem Auskunftsersuchen, dass dem Bearbeiter während der Eingabe der aktuellen Werte die Vorjahreswerte als Vergleichswerte zur Verfügung gestellt würden. Deren Abruf sei im Einzelfall von einer benutzerdefinierten Einstellung der Bildschi...