Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkende Gesetzesänderung zur Steuerpflicht von Erstattungszinsen ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Ansparabschreibung bei Existenzgründern: Konkretisierung des Investitionsvorhabens. Vertrauensschutz
Leitsatz (redaktionell)
1. Die in der Anwendung der gesetzlichen Neuregelung zur Steuerpflicht von Erstattungszinsen durch das Jahresteuergesetz 2010 in allen noch nicht bestandskräftig veranlagten Fällen liegende echte Rückwirkung ist verfassungsrechtlich zulässig.
2. Um eine ungerechtfertigte Inanspruchnahme der Förderung durch Ansparabschreibungen zu vermeiden, kann in der Situation der Betriebsgründung von einer hinreichenden Konkretisierung des Investitionsvorhabens mit Blick auf die wesentlichen Grundlagen erst dann ausgegangen werden, wenn diese Wirtschaftsgüter verbindlich bestellt worden sind.
3. Angesichts des Grundsatzes der Abschnittsbesteuerung vermag die wiederholte Nichtbeanstandung der in früheren Veranlagungszeiträumen geltend gemachten Ansparabschreibungen keinen derart weitreichen Vertrauenstatbestand zu schaffen, dass eine Auflösung der zu Unrecht gebildeten Existenzgründerrücklage nach Treu und Glauben ausnahmsweise ausgeschlossen wäre.
Normenkette
EStG 2009 § 20 Abs. 1 Nr. 7 S. 3, § 52a Abs. 8 S. 2 Fassung: 2010-12-08; AO § 233a; GG Art. 20 Abs. 3; EStG § 7g Abs. 3, 5, 7 a.F.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Kläger sind Eheleute, die für das Streitjahr beim beklagten Finanzamt (FA) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Die Kläger erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen, aus Vermietung und Verpachtung sowie jeweils Einkünfte aus Gewerbebetrieb.
Die Klägerin meldete zum 1. Oktober 2002 ein Gewerbe für den Handel mit Bürobedarf an (vgl. Gewerbeanmeldung vom 8. Dezember 2002). Der Gewinn wurde durch Einnahme – Überschussrechnung (§ 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz – EStG) ermittelt. Seit Betriebseröffnung erklärte die Klägerin bei geringen Umsätzen Verluste aus Gewerbebetrieb, die im Wesentlichen aus den geltend gemachten Ansparabschreibungen für folgende geplante Investitionen resultieren:
Mercedes Transporter |
60.000 EUR |
geltend gemacht 2002 |
Audi Avant |
40.000 EUR |
2002 |
Schreibtisch |
1.000 EUR |
2002 |
Aktenschränke |
2.000 EUR |
2002 |
Einrichtung Ausstellungsraum |
20.000 EUR |
2002 |
Verpackungs- und Kuvertierautomat |
150.000 EUR |
2003 |
Mitarbeiter-PKW Golf |
20.000 EUR |
2003 |
Einschweißaut omat |
26.000 EUR |
2004 |
Versandautom at |
38.000 EUR |
2004 |
H.-Frankierautomat |
25.000 EUR |
2004 |
Adress- und Etikettierautomat |
46.000 EUR2004 |
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gesamt 428.000 EUR |
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Nachdem die Kläger keine Einkommensteuererklärung einreichten, schätzte das FA die Besteuerungsgrundlagen. Dabei ging das FA davon aus, dass beim Gewerbebetrieb der Klägerin die Voraussetzungen für die Gewährung der Ansparabschreibungen 2002 bis 2004 nicht vorlagen und erfasste ihre Auflösung in Höhe von 170.000 EUR als Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Mit Bescheid vom … wurde eine Einkommensteuer in Höhe von … EUR festgesetzt.
In der im Einspruchsverfahren gegen die Steuerfestsetzung eingereichten Steuererklärung wurde der Gewinn durch Einnahme-Überschussrechnung ermittelt und in Höhe von 18 EUR für den Gewerbebetrieb der Klägerin erklärt.
Das FA folgte den Gewinnermittlungen in folgenden Punkten nicht: Für den Gewerbebetrieb der Klägerin hielt das FA an seiner Auffassung fest, dass sämtliche seit Beginn der Tätigkeit gebildeten Ansparrücklagen in Höhe von insgesamt 171.200 EUR (= 40 % von 428.000 EUR) aufzulösen seien. Das FA vertrat die Auffassung, dass die Ansparrücklagen bei Betriebseröffnung ins Blaue hinein erfolgt seien und deshalb nicht hätten gebildet werden dürfen. Im geplanten Investitionszeitraum von November 2003 bis Juli 2006 sei noch keine einzige der geplanten Anschaffungen von 428.000 EUR erfolgt. Die geringe Höhe der Betriebseinnahmen habe auf die mangelnde finanzielle Möglichkeit zur Investitionsrealisierung schließen lassen. Außerdem erfasste das FA 2.109 EUR beim Kläger und 2.108 EUR bei der Klägerin (insgesamt 4.217 EUR) an Erstattungszinsen als steuerpflichtige Einkünfte aus Kapitalvermögen.
Die Kläger vertraten die Auffassung, im Jahre 2003 seien die konkret geplanten Anschaffungen auf Grund der finanziellen Ausstattung möglich und gewollt gewesen. Zudem sei die Zwangauflösung der Ansparabschreibung vor Ablauf der 5-Jahresfrist durch das FA nicht möglich.
Mit Bescheid vom … änderte das FA die Steuerfestsetzung nach § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) und setzte nunmehr Einkommensteuer – entsprechend den Abweichungen – in Höhe von … EUR fest.
Mit Einspruchsentscheidung vom … wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.
Zur Begründung der dagegen eingelegten Klage wird im Wesentlichen vorgetragen: Das FA habe für den Betrieb der Klägerin in den Jahren 2002, 2003 und 2004 die beantragten Ansparabschreibungen zugelassen und damit einen Vertrauenstatbestand geschaffen, welcher den Klägern die Gewiss...