Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung der Mitwirkungspflicht im Hinblick auf die Feststellung der für eine Kindergeldfestsetzung erheblichen Tatsachen. Anwendung von EU-Recht für Kindergeldfestsetzung
Leitsatz (redaktionell)
Die Art. 13 ff. VO (EWG) 1408/71 nehmen dem nationalen Gesetzgeber die Befugnis, Geltungsbereich und Anwendungsvoraussetzungen seiner Rechtsvorschriften im Hinblick darauf zu bestimmen, welche Personen ihnen unterliegen und in welchem Gebiet sie ihre Wirkung entfalten. Unterliegt ein Arbeitnehmer den Rechtsvorschriften eines anderen EU-Mitgliedstaates, ist nach dem o.g. Grundsatz in Deutschland weder Kindergeld noch Differenzkindergeld zu zahlen. Gem. Art. 14 Abs. 1a VO (EWG) 1408/71 unterliegt ein Arbeitnehmer, der im Gebiet eines Mitgliedstaates von einem Unternehmen beschäftigt wird, dem er gewöhnlich angehört, und von diesem Unternehmen zur Ausführung einer Arbeit für dessen Rechnung in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates entsandt wird, weiterhin den Rechtvorschriften des ersten Staates, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit zwölf Monate nicht überschreitet und er nicht einen anderen Arbeitnehmer ablöst, für den die Entsendungszeit abgelaufen ist. Entscheidend ist, dass der Kläger für 7 Monate von seinem polnischen Arbeitgeber zur Ausführung einer Arbeit für dessen Rechnung nach Deutschland geschickt worden ist. Entgegen der Auffassung des Klägers hat der EuGH im Fall Bosmann (Urteil v. 20.5.2008, Rs. C-352/06, HFR 2008, S. 877) nicht die Europarechtswidrigkeit der Art. 13 ff VO (EWG) 1408/71 festgestellt.
Die Mitwirkungspflicht des Klägers bestand vor allem darin, die für die Kindergeldfestsetzung erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenzulegen und die ihm bekannten Beweismittel anzugeben (§ 90 Abs. 1 Satz 2 AO, § 76 Abs. 1 Satz 2 FGO). Diese Pflicht bestand seit Anhängigkeit der Klage, zumal der Kläger gerade die deutschen Rechtvorschriften auf seinen Fall angewendet haben möchte. Er ist ihr aber nicht nachgekommen, weil er keine substantiierten Angaben zu einem Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland oder zur fiktiven unbeschränkten Einkommensteuerpflicht gemacht hat.
Normenkette
EWGV 1408/71 §§ 13, 14 Abs. 1; DVO (EWG) 574/72; EStG § 62 Abs. 1 Nrn. 2a, 2b, § 65; AO § 9 Abs. 1, § 90 Abs. 1 S. 2; FGO § 76 Abs. 1 S. 2
Nachgehend
BFH (Beschluss vom 17.10.2012; Aktenzeichen XI R 54/10) |
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Der in Polen abhängig beschäftigte Kläger ist polnischer Staatsbürger und begehrt nach Deutschem Recht für sein in Polen lebendes Kind N., geb. am 02. Juli 1998, Kindergeld.
Polen gehört seit dem 1. Mai 2004 zum Europäischen Wirtschaftsraum.
Im Kindergeldantrag vom 20. September 2007 gab der Kläger an, dass er von Mai bis November 2004 in München tätig und wegen dieser Erwerbstätigkeit in Deutschland nicht sozialversichert gewesen sei. Seine ebenfalls in Polen lebende Ehefrau sei in den letzten fünf Jahren weder unselbständig noch selbständig erwerbstätig gewesen und habe auch keine Geldleistungen wegen Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Mutterschaft erhalten. Das Kindergeld sollte auf das Konto von K. L. bei der … Bank in Frankfurt bezahlt werden. Dem Kindergeldantrag lag der Einkommensteuerbescheid 2004 des Finanzamts O. vom 26. Januar 2006 und eine Bescheinigung des Arbeitgebers vom 16. Oktober 2007 bei, wonach der in Polen als Arbeitnehmer sozialversicherte Kläger vom 1. März bis 30. November 2004 in einen ausländischen Betrieb in Deutschland entsandt worden sei.
Dieser Kindergeldantrag wurde von der … (GbR) mit Schreiben vom 18. Oktober 2007 bei der Beklagten (der Familienkasse) eingereicht, die sich dabei unter Vollmachtsvorlage als Empfangsbevollmächtigte für den Kläger benannte.
Die Familienkasse wies gemäß § 80 Abs. 5 der Abgabenordnung – AO – die GbR mit Bescheid vom 2. November 2007 als Bevollmächtigte zurück und lehnte in einem weiteren Bescheid vom 2. November 2007 die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum Mai bis November 2004 in Anwendung des § 65 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes – EStG – und des Art. 13 ff der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu – oder abwandern (konsolidierte Fassung, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – ABlEG – Nr. L 28 vom 30. Januar 1997, S. 1, – VO (EWG) 1408/71 –) ab.
Der dagegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos. In der Einspruchsentscheidung vom 04. Dezember 2007 wies die Familienkasse auf den Inhalt des Kindergeldanspruchs nach § 62 Abs. 1 EStG hin, der jedoch im Verhältnis zu den anderen Staaten der Europäischen Union nur nach den Regelungen der Verordnungen – VO (EWG) 1408/71 bzw. der hierzu ergangenen Durchführungsverordnungen (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der VO (EWG) 1408/71 (aktualisierte Gesamtfassung A...