rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Zugangsvermutung und Bestreiten des Zugangszeitpunkts innerhalb des Dreitageszeitraums
Leitsatz (redaktionell)
Bestreitet der Steuerpflichtige oder Kindergeldberechtigte nicht den Zugang des Schriftstücks überhaupt, sondern den Erhalt innerhalb des Dreitageszeitraums des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO, so hat er sein Vorbringen im Rahmen des Möglichen zu substantiieren, um Zweifel an der Dreitagesvermutung zu begründen.
Normenkette
AO § 122 Abs. 2 Nr. 1; FGO § 47 Abs. 1
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Die Prozessbevollmächtigte des Klägers erhob mit Schriftsatz vom 26. April 2011 (Eingangsstempel des Gerichts vom 29. April 2011) Klage wegen der Einspruchsentscheidung – hinsichtlich des hälftigen Kindergelds ohne Angabe des Datums –. Sie beantragte für den Zeitraum von Mai 2004 bis Dezember 2008 die Differenz zwischen dem gewährten hälftigen Kindergeld (vgl. bestandskräftiger Bescheid vom 1. März 2007) und dem vollen Kindergeld für die Kinder des Klägers, R. und E. (geb. am 17. Oktober 2000 bzw. am 29. Mai 2003). Die Kinder lebten zusammen mit der Ehefrau des Klägers in Polen. Ein Antrag auf polnische Familienleistungen sei nicht gestellt worden, da das Familieneinkommen zu hoch gewesen sei.
Mit Schriftsatz vom 17. Mai 2011 übersandte die Prozessbevollmächtigte des Klägers dem Gericht eine Kopie der (an den damaligen Bevollmächtigten des Klägers, Herrn Steuerberater M., adressierten) Einspruchsentscheidung vom 25. März 2011 – ohne Eingangsstempel – (Anlage).
Die Familienkasse erwiderte, dass die Klage unzulässig sei, da sie nicht innerhalb der Klagefrist erhoben worden sei. Nach § 47 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO – betrage die Klagefrist ein Monat. Die Frist beginne mit der Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf. Die Einspruchsentscheidung sei am 25. März 2011 (Freitag) zur Post gegeben worden. Sie gelte am 28. März 2011 (Montag) als bekanntgegeben. Eine spätere Bekanntgabe sei nicht geltend gemacht worden. Die Klagefrist habe daher am 29. März 2011 (Dienstag) begonnen und habe am 28. April 2011 (Donnerstag) geendet. Die Klage sei dagegen erst am 29. April 2011 bei Gericht eingegangen.
Mit Schriftsatz vom 4. Juli 2011 teilte die Prozessbevollmächtigte des Klägers dem Gericht darauf hin mit, dass die Einspruchsentscheidung erst am Dienstag, den 29. März 2011 eingegangen sei. Aufgrund eingeschränkter Postzustellung in Bayern erhalte sie in der Kanzlei montags keine Post mehr. Die Klagefrist sei daher gewahrt.
Nach Aufforderung des Gerichts legte die Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 1. August 2011 eine Kopie der ersten Seite der Einspruchsentscheidung vom 25. März 2011 vor, die einen Eingangsstempel vom 29. März 2011 – ohne Namenszeichen – aufwies.
Das Gericht wies in der Aufklärungsanordnung vom 30. August 2011 die Prozessbevollmächtigte auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – BFH – hin, wonach zur Begründung von Zweifeln am Zugang innerhalb der Drei-Tages-Frist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung – AO – ein abweichender Eingangsvermerk nicht ausreiche (vgl. BFH-Beschlüsse vom 20. April 2011 III B 124/10, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2011, 1110; und vom 30. November 2006 XI B 13/06, BFH/NV 2007, 389, jeweils mit weiteren Nachweisen – m.w.N. –). Zudem wäre bei Einlegung der Klage bereits auf den verspäteten Eingang der Einspruchsentscheidung – wie jetzt im Laufe des Klageverfahrens vorgetragen wurde – am 29. März 2011 hinzuweisen gewesen. Im Übrigen wurde auf die Regelung des § 56 Abs. 2 FGO Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 26. September 2011 legte die Prozessbevollmächtigte dem Gericht eine Kopie des Schreibens der K. Steuerberatungsgesellschaft mbH vom 26. September 2011 an den Vorstand der Deutschen Post AG, Herrn …, über die fehlende Post am selben Tag mit dem Hinweis vor, dass bereits mehrfach der Posteingang am Montag gefehlt habe.
Im Anschluss daran brachte die Prozessbevollmächtigte ein weiteres Schreiben der o.g. Steuerberatungsgesellschaft und zwei Antwortschreiben der Deutschen Post vom 20. Juli 2009 und vom 17. Dezember 2009 bei, in denen die Deutsche Post ihr Bedauern zum Ausdruck brachte und/bzw. auch mitteilte, dass ein Ergebnis der Recherche über die fehlende Post noch nicht vorliege.
Nach Aufforderung des Gerichts eine Kopie des Posteingangsbuch und des Fristenkontrollbuchs für den Zeitraum 1. März bis 14. April 2011 vorzulegen, teilte die Prozessbevollmächtigte mit, dass sie derartige Bücher nicht führe. Als Zeugin könne sie noch ihre Auszubildende benennen, die jede Post mit dem Eingangsstempel versehe. Außerdem habe sie diversen Schriftverkehr vorgelegt, der bestätige, dass auch der Kollege K. am Montag keine Post erhalten habe. Die Post werde am Samstag im Postverteilungszentrum nicht mehr verteilt, so dass diese Post auch nicht am Montag, sondern erst am Dienstag ausgetragen werde.
Auf den Vorhalt ...