Entscheidungsstichwort (Thema)

Fortführung des Einspruchsverfahrens nach Änderung des angefochtenen Bescheids

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Fortführung des Einspruchsverfahrens gegen den neuen Verwaltungsakt gemäß § 365 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 AO setzt voraus, dass die Adressaten und der Besteuerungsgegenstand des unwirksamen und des ersetzenden Verwaltungsaktes identisch sind. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn ein an eine vollbeendete Gesellschaft gerichteter und daher nichtiger Bescheid durch einen an die Gesamtrechtsnachfolgerin jener Gesellschaft gerichteten Bescheid ersetzt wird.

2. Die Anwendung des § 365 Abs. 3 AO setzt voraus, dass gegen den geänderten oder ersetzten Verwaltungsakt ein zulässiger Einspruch eingelegt worden ist.

 

Normenkette

AO § 365 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, §§ 110, 125 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 11.10.2023; Aktenzeichen II R 16/21)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Zwischen den Beteiligten ist u.a. streitig, ob das beklagte Finanzamt (FA) den Einspruch der Klägerin gegen eine Grunderwerbsteuerfestsetzung zu Recht als unzulässig abgelehnt und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 110 der Abgabenordnung (AO) nicht gewährt hat.

Die Klägerin ist Rechtsnachfolgerin der A GmbH, die ihrerseits Rechtsnachfolgerin der B KG war. Letztere war bis 21. März 2014 Eigentümerin des Grundstücks in X-Stadt. C AG war über die D KG mittelbar an der B KG beteiligt.

Aufgrund von mehreren Erwerbsvorgängen in der Zeit vom 7. Mai 2002 bis zum 19. Januar 2007 gingen 95 % der Anteile an der C AG auf die neue Anteilseignerin E S.p.A. über.

Mit Schreiben vom 16. Januar 2013 teilte die Betriebsprüfungsstelle dem FA mit, dass aufgrund der Erwerbsvorgänge am 7. Mai 2002 und am 19. Januar 2007 95 % der Anteile an der C AG i.S.d. § 1 Abs. 2a des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) auf die E S.p.A. übergegangen sind. Betroffen sei der Grundbesitz in X-Stadt.

Mit Bescheid vom 20. Februar 2013, adressiert an die B KG, stellte das Feststellungsfinanzamt den Grundbesitzwert für die wirtschaftliche Einheit in X-Stadt auf den 19. Januar 2007 für Zwecke der Grunderwerbsteuer i.H.v. 19.739.500 EUR fest und rechnete ihn der B KG in voller Höhe zu.

Die B KG wurde – nach Veräußerung ihres Grundbesitzes am 21. März 2014 – durch Ausscheiden der D KG im Wege der Anwachsung auf ihre Komplementärin A GmbH am 2. April 2014 vollbeendet und ist laut Handelsregistereintragung vom 5. Mai 2014 erloschen.

Mit Bescheid vom 11. November 2014 setzte das FA gegen die B KG für den Erwerbsvorgang vom 19. Januar 2007 gem. § 1 Abs. 2a GrEStG aus einer Bemessungsgrundlage von 19.739.500 EUR Grunderwerbsteuer i.H.v. 690.882 EUR fest.

Mit Schreiben vom 21. November 2014 erhob die B KG Einspruch gegen den Grunderwerbsteuerbescheid. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2a GrEStG seien im Streitfall nicht erfüllt. Zwar habe die E S.p.A. am 19. Januar 2007 ihren Aktienbesitz an der C AG auf 95 % der Anteile erhöht. Nach neuester Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) im Urteil vom 24. April 2013 II R 17/10 erfordere ein Gesellschafterwechsel i.S.d. § 1 Abs. 2a GrEStG bei mittelbar beteiligten Kapitalgesellschaften aber einen Wechsel der Anteilseigner i.H.v. 100 %.

Mit Schreiben vom 4. Dezember 2014 wies das FA die B KG darauf hin, dass das Urteil mit einem Nichtanwendungserlass belegt sei, weil die wirtschaftliche Betrachtungsweise des BFH in diesem Urteil nicht dem Willen des Gesetzgebers entspräche. Dem Einspruch könne deshalb nicht stattgegeben werden.

Mit Schreiben vom 4. Februar 2015 teilte die A GmbH dem FA mit, dass die B KG im April 2014 erloschen und der Grunderwerbsteuerbescheid vom 11. November 2014 an die erloschene B KG mangels wirksamer Bekanntgabe nichtig sei.

Durch Bescheid vom 27. Februar 2015 setzte das FA gegen die A GmbH als Rechtsnachfolgerin der B KG wegen des Erwerbsvorgangs vom 19. Januar 2007 Grunderwerbsteuer aus einer Bemessungsgrundlage von 19.739.500 EUR i.H.v. 690.882 EUR fest.

Mit Schreiben vom 3. März 2015 teilte das FA der A GmbH mit, dass der Grunderwerbsteuerbescheid vom 11. November 2014 gegen die B KG nicht wirksam bekanntgegeben worden ist (die Gesellschaft war bereits erloschen) und stellte dessen Nichtigkeit (§ 125 AO) fest.

Mit Wirkung zum 30. Juni 2015, dem Tag der Eintragung ins Handelsregister, wurde die A GmbH auf die Klägerin verschmolzen. Die Klägerin wurde lt. Handelsregistereintragung vom 10. April 2017 aufgelöst und befindet sich in Liquidation.

Mit Schreiben vom 18. Februar 2016 an das FA betreffend „Grunderwerbsteuer – Einsprüche diverser „…” Gesellschaften Aufhebung von Bescheiden über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer aus 2013 bzw. aus 2014” bat die D GmbH, die im Rahmen eines Geschäftsbesorgungsvertrages für die erloschene A GmbH tätig wurde, den zuständigen Bearbeiter des FA um vorrangige Bearbeitung der Einsprüche von sieben Gesellschaften, u.a. des Einspruchs...

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