Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerschuldner ist Inhaltsadressat eines Gewerbesteuermessbescheids. Bindungswirkung. Bestimmung der hebeberechtigten Gemeinde. Anwendbarkeit des § 127 AO im Gewerbesteuermessbetragsverfahren
Leitsatz (redaktionell)
1. Konstituierender Bestandteil jedes Verwaltungsaktes ist die Angabe des Inhaltsadressaten, d.h. desjenigen, dem gegenüber der Einzelfall geregelt werden soll. Bei einem Gewerbesteuermessbescheid ist Inhaltsadressat der Steuerschuldner.
2. Ein Gewerbesteuermessbescheid entfaltet Bindungswirkung im Sinne des § 351 Abs. 2 AO nur hinsichtlich der Festsetzung des Messbetrags, nicht jedoch hinsichtlich der (nachrichtlichen) Benennung der hebeberechtigten Gemeinde. Allerdings hat die Benennung der Gemeinde rechtsstaatlichen Grundsätzen zu genügen.
3. Die Bestimmung des Steuergläubigers – hebeberechtigte Gemeinde – ist als materiell-rechtliche Voraussetzung von der Gemeinde beim Erlass des Gewerbesteuerbescheids eigenständig zu prüfen und kann nur in einem gegen den Gewerbesteuerbescheid gerichteten Rechtsbehelfsverfahren geklärt werden, sofern sie nicht Gegenstand eines Zuteilungsbescheids oder eines Zerlegungsbescheids ist.
4. Die in der Literatur geäußerten Zweifel, ob § 127 AO im Gewerbesteuermessbetragsverfahren zur Anwendung kommen kann, wenn es zu einem Zuteilungsverfahren des Gewerbesteuermessbetrags im Sinne des § 190 Satz 1 AO nicht kommen kann, weil die gemäß § 190 Satz 2 AO in Verbindung mit § 189 Satz 3 AO zu beachtende Jahresfrist nach Unanfechtbarkeit der Bescheide dies verhindert, teilt der Senat nicht.
Normenkette
GewStG § 4 Abs. 1 S. 1, § 5 Abs. 1; AO § 182 Abs. 1 S. 1, §§ 184-185, 190, 189 S. 3, §§ 127, 119, 351 Abs. 2
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten wegen der Änderung der Angabe der hebeberechtigten Gemeinde beim Erlass von Gewerbesteuermessbetrags-Änderungsbescheiden für die Jahre 2004 bis 2011.
Die Klägerin X wurde am 3. April 2002 im Handelsregister eingetragen. Als Kommanditistin wurde EF mit einer Einlage von 5.000 EUR angegeben, als Komplementärin die Y-GmbH. Die Y-GmbH ist als Vertreterin der Gesellschaft bestimmt. Zur Eintragung im Handelsregister (HR) wurde als Firmensitz „S im Landkreis XY”, nach dem für 2002 gültigen § 29 HGB angegeben. Im Zuge der Neuregelungen durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts vom 23. Oktober 2008 und des Gesetzes zur Modernisierung des Bilanzrechts vom 25. Mai 2008 wurde von Amts wegen am 21. November 2011 als Geschäftsanschrift „X-str. in S” eingetragen. Der Gegenstand des Unternehmens ist im Handelsregister nicht ausgewiesen. In den Jahresabschlussberichten wird als Geschäftsgegenstand die „Recherche von Finanzdienstleistungen und Finanzdienstleistungsverträgen” genannt.
Als Geschäftsführer der Y-GmbH war nach Eintrag im HR EM bestellt. Geschäftszweck der Komplementärin war, nach Eintrag im HR, die Beteiligung an anderen Unternehmen, Übernahme der persönlichen Haftung für andere Unternehmen, Erbringung von Geschäftsführungsmaßnahmen. Auch für die Komplementärin wurde als Firmensitz zunächst „S im Landkreis XY” und mit Eintragung vom 21. Oktober 2010 als Geschäftsanschrift „X-str. in S” angegeben. Im Zuge dieser Eintragung wurde auch der Gegenstand des Unternehmens erweitert. Mit Eintragung vom 20. Januar 2015 wurde die Firmierung der Komplementärin in „EM GmbH” geändert und der Unternehmensgegenstand erweitert.
Bei der Adresse „X-str. in S” handelt es sich um ein Grundstück mit freistehendem Wohnhaus in unmittelbarer Ufernähe zu einem See, welches der Geschäftsführer der Komplementärin –EM– ursprünglich zu Alleineigentum erworben hatte und mit notariellem Vertrag 1999 an seine Ehefrau EF, versehen mit Rückfallklauseln, einem Zustimmungsvorbehalt zu Veräußerungsgeschäften und ab 2007 unter Einräumung einer Belastungsvollmacht für sich, übertragen hatte.
Unter der Adresse S waren im HR, neben den bereits genannten X und Y-GmbH, auch vier weitere Firmen gemeldet, darunter die EM-AG.
Die Klägerin wurde in den Streitjahren beim Finanzamt unter der Steuernummer XYZ veranlagt.
Unter der genannten Steuernummer waren in den Streitjahren 2004 bis 2011 gegenüber der Klägerin zunächst Gewerbesteuermessbescheide ergangen unter Nennung der Gemeinde S als hebeberechtigt.
Aus verschiedenen Gründen hatten sich Zweifel am tatsächlichen Bestehen eines Betriebssitzes unter der Adresse in S ergeben. In der Folge wurde seitens des Finanzamts ab 1. Februar 2012 eine Fahndungsprüfung zunächst hinsichtlich der EM-AG begonnen.
Der hinsichtlich dieser Fahndungsprüfung erstellte Bericht kommt unter Berücksichtigung im Einzelnen aufgelisteter Beweisanzeichen zu dem Ergebnis, dass ein Geschäftsbetrieb in S nicht stattgefunden habe.
Mit Schreiben vom 19. September 2011 wurde EM, als dem Geschäftsführer der die Geschäfte führenden Komplementärin, die Erweiterung der Fahndungsprüfung auch hinsicht...