Entscheidungsstichwort (Thema)
Entstehung von Säumniszuschlägen. Zuständigkeit für die Ablehnung eines Antrags auf Stundung einer Kindergeldrückforderung nebst Säumniszuschlägen. Konzentrationsermächtigung
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine gegen die Erhebung von Säumniszuschlägen gerichtete Klage ohne Vorliegen eines Abrechnungsbescheids ist grundsätzlich unzulässig.
2. Sind die gesetzlichen Voraussetzungen des Entstehens von Säumiszuschlägen erfüllt, sind insoweit Ermessenserwägungen nicht anzustellen.
3. Die Stundung von Säumniszuschlägen kann auch isoliert beantragt werden und ist von der zuständigen Behörde unabhängig von der Stundung der Hauptforderung nach eigenen Kriterien zu prüfen.
4. Der Inkasso-Service, also die Agentur für Arbeit Recklinghausen Inkasso-Service Familienkasse, ist nicht für Entscheidungen im Erhebungsverfahren betreffend den Familienleistungsausgleich zuständig.
5. Die Konzentration der Zuständigkeit der Familienkasse für die Bearbeitung von Rechtsbehelfen gegen Entscheidungen des Inkasso-Service im Bereich des steuerlichen Kindergelds, also für sämtliche Rechtsbehelfsverfahren in Erhebungsangelegenheiten, lässt sich nicht auf die Organisationskompetenz der Bundesagentur für Arbeit stützen.
Normenkette
AO §§ 222, 240, 218 Abs. 2, §§ 220, 37 Abs. 2; FVG § 17 Abs. 2, § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 11
Tenor
1. Der Bescheid über die Ablehnung des Stundungsantrags vom 17. April 2019 und die Einspruchsentscheidung vom 16. August 2019 werden aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin zu 90 v.H., die Beklagte zu 10 v.H.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über die Erhebung und die Rechtmäßigkeit einer Ablehnung der Stundung von Säumniszuschlägen in Höhe von […] EUR zu einer Kindergeldrückforderung in Höhe von […] EUR.
Mit Bescheid der Familienkasse Bayern Süd vom 27. August 2018 wurde eine Kindergeldfestsetzung gegenüber der Klägerin aufgehoben und Kindergeld für den Zeitraum von August 2017 bis August 2018 in Höhe von […] EUR zurückgefordert. Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 8. November 2018).
Mit Schreiben vom 12. März 2019 erließ der Inkasso-Service der beklagten Familienkasse bei der Bundesagentur für Arbeit Recklinghausen gegen die Klägerin eine Mahnung und setzte bis dahin entstandene Säumniszuschläge in Höhe von […] EUR fest. Mit Schreiben vom 25. März 2019 bat die Klägerin um Vereinbarung einer Ratenzahlung. Mit Schreiben vom 18. Juni 2019 drohte der Inkasso-Service die Einleitung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen an und bezifferte die bis dahin entstandenen Säumniszuschläge auf insgesamt […] EUR.
Mit Bescheid vom 17. April 2019 lehnte der Inkasso-Service den Antrag der Klägerin auf Stundung der Kindergeldrückforderung nebst Säumniszuschlägen in Höhe von […] EUR ab, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorlägen. Nach § 222 der Abgabenordnung (AO) dürfe eine Forderung nur gestundet werden, wenn die sofortige Einziehung mit erheblichen Härten für den Schuldner verbunden sei und die Forderung durch die Stundung nicht gefährdet werde. Da der Lebensunterhalt aber vorliegend von unpfändbarem Einkommen bestritten werde, liege eine Gefährdung der Forderung vor. Die Forderung bleibe daher fällig. Dabei wies der Inkasso-Service weiter darauf hin, dass Säumniszuschläge in Höhe von 1% pro Monat (§ 240 AO) entstünden, wenn fällige Beträge nicht gezahlt würden. Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 10. Mai 2019 Einspruch ein.
Mit weiterem Schreiben vom 1. Juli 2019 bat die Klägerin darum, von Vollstreckungsmaßnahmen sowie von der Erhebung von Säumniszuschlägen abzusehen.
Den gegen die Stundungsablehnung gerichteten Einspruch wies die beklagte Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 16. August 2019 als unbegründet zurück. Das Steuerrecht sehe die Rückzahlung einer Steuerschuld durch Ratenzahlung nicht vor. Der Stundungsantrag sei zu Recht abgelehnt worden, da die persönlichen Stundungsgründe nicht vorlägen. Insbesondere fehle es an der Stundungsbedürftigkeit, da die Klägerin dauerhaft zahlungsunfähig sei. Stundungsbedürftigkeit liege jedoch nur bei vorübergehender Zahlungsunfähigkeit des Schuldners vor. Die erhobenen Säumniszuschläge entstünden kraft Gesetzes nach § 240 AO und bedürften daher keiner eigenen Festsetzung durch Verwaltungsakt. Ihre Höhe werde in der Mahnung lediglich mitgeteilt.
Im Verlauf des hiergegen geführten Klageverfahrens ergingen am 9. Oktober 2019 und am 6. November 2019 Schreiben des Inkasso-Service, mit denen dieser die Vollstreckung androhte. Diese Schreiben enthielten jeweils eine Forderungsaufstellung, aufgeschlüsselt nach Hauptforderung und bisher entstandenen Säumniszuschlä...