Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine steuerpflichtige Sachausschüttung durch Zuteilung von Aktien im Rahmen eines „spin-off”. Hineinwachsen einer vor Erlass der Einspruchsentscheidung erhobenen Klage in die Zulässigkeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Zu den Bezügen im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG können nicht nur Bar-, sondern auch Sachausschüttungen in- oder ausländischer Kapitalgesellschaften gehören, etwa wenn eine Körperschaft Anteile an einer anderen Körperschaft, die sich in ihrem Besitz befindet, auf ihre Anteilseigner überträgt.
2. Eine Rückgewähr von Eigenkapital im Rahmen eines „spin-off” einer US-amerikanischen Kapitalgesellschaft liegt insoweit vor, als die Leistungen der Kapitalgesellschaft im Wirtschaftsjahr das Nennkapital und den im Vorjahr festgestellten ausschüttbaren Gewinn übersteigen oder wenn sich dies aus der Bilanz der ausschüttenden Gesellschaft ergibt.
3. § 20 Abs. 4a Satz 7 EStG verdrängt als speziellere gesetzliche Regelung (lex specialis) die allgemeinere Regelung des § 20 Abs. 4a Satz 5 EStG, die ebenfalls die Zuteilung von Anteilen betrifft.
4. Der Abspaltungsbegriff des § 20 Abs. 4a Satz 7 EStG ist „typusorientiert” dahingehend auszulegen, dass lediglich die typusbestimmenden Merkmale einer Abspaltung vorliegen müssen. Dies ist bei dem streitgegenständlichen „spin-off” nach US-amerikanischem Recht der Fall.
5. Die Durchführung eines erfolglosen Vorverfahrens stellt eine Sachurteilsvoraussetzung dar, die erst zum Schluss der mündlichen Verhandlung bzw. bei einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorliegen muss. Wird bis zu diesem Zeitpunkt eine Einspruchsentscheidung erlassen, so wächst die zuvor erhobene Klage in die Zulässigkeit hinein.
Normenkette
EStG 2009 § 20 Abs. 4a Sätze 1, 5, 7, Abs. 1 Nr. 1 S. 1; UmwG § 123; FGO § 44 Abs. 1
Nachgehend
Tenor
1. Der Einkommensteuerbescheid vom 14. November 2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. Mai 2017 wird dahingehend geändert, dass Kapitalerträge des Klägers von … Euro und der Klägerin von … Euro aus der Zuteilung der Anteile an der ABE Company außer Ansatz bleiben. Die Berechnung der festzusetzenden Einkommensteuer wird auf den Beklagten übertragen (§ 100 Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung).
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Kläger die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Strittig ist, ob die Kläger Kapitalerträge durch die Zuteilung von Aktien der ABC Company erzielt haben, die dem Kapitalertragssteuerabzug zu unterwerfen waren.
Die Kläger sind Ehegatten, die gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt werden. Neben Versorgungsbezügen bzw. Renten erzielten sie Einkünfte aus Kapitalvermögen. Der Kläger hatte nach seinem Vortrag im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge Aktien an der ABC Company (ABC) zwischen den Jahren 1980 und 2000 erworben. Die Klägerin hatte ihre Aktien nach ihren Angaben im Jahr 2000 angeschafft. Mit der am 6. September 2016 beim Beklagten (dem Finanzamt) abgegebenen Einkommensteuererklärung erklärten sie für den Kläger Kapitalerträge von … EUR, für die Klägerin Kapitalerträge von … EUR. In diesen waren für den Kläger ein „unbarer Ertrag aus Kapitalmaßnahmen” der ABC in Höhe von … EUR und für die Klägerin ein ebensolcher Ertrag in Höhe von … EUR enthalten. Für diese Beträge waren von der depotführenden Vereinigten Bank AG Kapitalertragsteuer in Höhe von … EUR zuzüglich … EUR Solidaritätszuschlag und … EUR Kirchensteuer für den Kläger sowie … EUR Kapitalertragsteuer zuzüglich … EUR Solidaritätszuschlag und … EUR Kirchensteuer für die Klägerin einbehalten und abgeführt worden. Für die Einkommensteuerveranlagung stellten die Kläger einen Antrag auf Überprüfung des Steuereinbehalts nach § 32d Abs. 4 Einkommensteuergesetz (EStG) für diese Kapitalerträge und begehrten die Anrechnung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer zuzüglich Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer. Die Kläger vertraten die Ansicht, dass die unbare Kapitalmaßnahme der ABC keinen Kapitalertrag ausgelöst habe.
Im Einzelnen lag der Kapitalmaßnahme folgender Sachverhalt zugrunde:
Mit Wirkung zum 31. Oktober 2015 änderte die ABC Company (ABC) ihren Namen in ABI (ABI). Anschließend übertrug die ABI mit Wirkung zum 1. November 2015 das Unternehmenskundengeschäft im Wege eines sogenannten „Spin-offs” auf die bereits im Februar 2015 gegründete Tochtergesellschaft ABC Enterprise Company (ABE). Die Aktionäre der ABC erhielten für eine alte Aktie der ABC (ISIN: US4282361033, WKN: 851301) eine Akte der umbenannten ABI (ISIN: US 40434L1052, WKN: A142VP) und zusätzlich eine Aktie der ABE (ISIN: US42824C1099, WKN: A140KD). Den Klägern wurden am 02. November 2015 die Aktien d...