Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO. Grundsätze zur Berücksichtigung neuer Tatsachen. regelmäßiger Aufenthalt des Steuerpflichtigen in einer ihm gehörenden Immobilie im Inland
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Klageverfahren betreffend die tatsächliche Frage, ob der Steuerpflichtige eine ihm gehörende Wohnung im Inland in den Streitjahren tatsächlich bewohnt hat, kann nicht gemäß § 74 FGO im Hinblick auf ein vor dem BFH anhängiges Revisionsverfahren ausgesetzt werden, in dem es um die Rechtsfrage geht, ob ein von mehreren Piloten angemietetes und abwechselnd genutztes Standby-Zimmer einen Wohnsitz i. S. v. § 8 AO darstellen kann.
2. Bei der Bestimmung und Begrenzung der Ermittlungspflicht des FA kommt es wesentlich auf die Angaben des Steuerpflichtigen, insbesondere darauf an, ob der Steuerpflichtige dem FA die steuerlich relevanten Sachverhalte richtig, vollständig und deutlich zur Prüfung unterbreitet hat. Ist dies zu verneinen, kann sich der Steuerpflichtige – unabhängig von einem eventuellen eigenen Verschulden – nicht auf eine Nachlässigkeit des FA bei der Ermittlung der für die Besteuerung wesentlichen tatsächlichen Verhältnisse berufen.
3. Der Umstand, dass sich der Steuerpflichtige in den Streitjahren tatsächlich in ihm zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten im Inland aufgehalten hat, stellt eine Tatsache i. S. d. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO dar. Es handelt sich nicht um eine Schlussfolgerung aus der dem FA bereits bekannten Tatsache, dass der Steuerpflichtige Eigentümer der betreffenden Immobilie gewesen ist.
Normenkette
AO §§ 8-9, 173 Abs. 1 Nr. 1; FGO § 74
Nachgehend
BFH (Beschluss vom 31.07.2013; Aktenzeichen I B 69/13) |
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Streitig sind das Vorliegen eines inländischen Wohnsitzes in den Streitjahren, die Zulässigkeit der Änderung der Einkommensteuer(ESt)-Bescheide, die Anerkennung von Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit, die Steuerfreiheit einer Schichtzulage, das Vorliegen der Voraussetzung des § 10e Einkommensteuergesetz (EStG), die Nichtberücksichtigung von Verlusten aus Vermietung und Verpachtung des Objekts A und der Unterhaltszahlungen an das Kind des Klägers sowie die Berechnung der Säumniszuschläge und Nachzahlungszinsen.
Der Kläger erzielte in den Streitjahren als Pilot bei der Z-Aktiengesellschaft (AG) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sowie Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Rahmen einer gewerblichen Vermietung, Einkünfte aus Kapitalvermögen sowie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung im Rahmen der Vermietung des Objekts H-Str. 4, L und einer Beteiligung an einer Grundstücksgemeinschaft. Aufgrund seiner Angabe, der Wohnsitz befinde sich in S in …, wurde der Kläger vom Finanzamt (FA) T als beschränkt steuerpflichtig behandelt. Die entsprechenden ESt-Bescheide ergingen am 23. März 2000 (ESt 1997), 9. Juni 2000 (ESt 1998), 3. Mai 2001 (ESt 1999), 29. Mai 2002 (ESt 2000), 3. Juni 2003 (ESt 2001), 3. Juni 2003 (ESt 2002) sowie am 29. Oktober 2004 (ESt 2003) jeweils mit einer ESt von 0 DM bzw. 0 EUR. Jeweils gleichzeitig erließ das FA Verlustfeststellungsbescheide. Die ESt-Bescheide 1998/1999 und 2002 wurden aufgrund einer Mitteilung für die Grundstücksgemeinschaft, an der der Kläger beteiligt war, nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) geändert unter dem Datum vom 8. November 2000 (1998), 23. Juli 2001 (1999) und vom 27. Februar
2004 (2002). Die ESt betrug weiterhin 0 DM bzw. 0 EUR. Die Verlustfeststellungsbescheide wurden ebenfalls entsprechend geändert. Für 2003 schätzte das FA M (Beklagter), unter dem Datum vom 16. Februar 2006 die Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO, weil der Kläger trotz Aufforderung keine ESt-Erklärung abgegeben hatte und setzte die ESt 2003 mit 0 EUR fest.
Im Rahmen einer beim Kläger durchgeführten Steuerfahndungsprüfung für die Jahre 1997 bis 2004 kam die Steuerfahndungsstelle zu dem Ergebnis, dass der Kläger in den Jahren 1997 bis 2003 entgegen seinen Angaben einen Wohnsitz im Inland gehabt habe und daher unbeschränkt steuerpflichtig sei. Auf den Bericht vom 22. Januar 2008 wird Bezug genommen. Das FA schloss sich der Beurteilung durch die Steuerfahndungsstelle an, änderte die ESt-Bescheide 1997 bis 2003 jeweils unter dem Datum vom 17. September 2007 entsprechend und setzte die ESt 1997 mit 37.881,62 EUR (= 74.090 DM), die ESt 1998 mit 30.008,74 EUR (= 58.692 DM), die ESt 1999 mit 25.889,26 EUR (= 50.635 DM), die ESt 2000 mit 32.657,24 EUR (= 63.872 DM), die ESt 2001 mit 57.410,41 EUR (= 112.285 DM), die ESt 2002 mit 52.502 EUR und die ESt 2003 mit 56.238 EUR fest. Der ESt-Bescheid 2000 erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 AO. Der Bescheid 2003 wurde nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert. In den übrigen Bescheiden war eine Änderungsvorschrift nicht angegeben. Die Verlustfeststellungsbescheide für die Jahre 1998 bis 2003 wurden mit Verwaltungsakt jeweils vom 16. Oktober 2007 aufge...