rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld. Außerstandesein eines über 18-jährigen Kind sich selbst zu unterhalten wegen körperlicher. geistiger und seelischer Behinderung
Leitsatz (redaktionell)
1. Der fehlende Nachweis der Behinderung und der Unfähigkeit zum Selbstunterhalt geht nach den Regeln der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten des Kindergeldberechtigten.
2. Die Entscheidung, ob eine Behinderung für die mangelnde Fähigkeit des behinderten Kindes zum Selbstunterhalt in erheblichem Umfang mitursächlich ist, hat die Familienkasse unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu treffen.
Normenkette
FGO § 100 Abs. 3 S. 1; EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3
Tenor
1. Der Aufhebungsbescheid vom 15. März 2012 und die Einspruchsentscheidung vom 6. September 2012 werden aufgehoben.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob die Behinderung des Sohnes L. (geb. am 19. Januar 1979) des Klägers ursächlich dafür ist, dass er seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann.
Mit Bescheid des Versorgungsamts vom 28. März 2011 wurde für L. wegen seelischer Krankheit ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festgestellt. Der Schwerbehindertenausweis gilt bis Ende Dezember 2014. Das Versorgungsamt hat für März 2014 einen Termin für eine Nachprüfung vorgemerkt, da es eine wesentliche Änderung des Gesundheitszustands für möglich hält.
L. bezog (jedenfalls bis April 2012) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II), Grundsicherung für Arbeitsuchende (vgl. Bescheide des Sozialamts der Stadt … vom 19. Oktober 2010 und vom 13. Dezember 2011).
Mit Bescheid vom 15. März 2012 hob die damals noch zuständige Familienkasse … gemäß § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) die Festsetzung des Kindergelds für L. ab März 2012 mit der Begründung auf, dass die Behinderung L.s nach den hier vorliegenden Unterlagen nicht ursächlich dafür sei, dass er seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten könne. Dieser Entscheidung lag eine Feststellung des Teams Reha-SB-Stelle der Agentur für Arbeit ohne Begründung zugrunde, dass aufgrund des Begutachtungsergebnisses die Voraussetzungen für eine Mehrfachanrechnung gemäß § 76 Abs. 1 des Neunten Sozialgesetzbuches (SGB IX) nicht erfüllt seien. Das Kind L. sei in der Lage eine arbeitslosenversicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes auszuüben. Dies gelte für den Zeitraum ab März 2012.
Dagegen legte der Kläger Einspruch ein und trug vor, dass sich sein Sohn seit mindestens 1997 in ununterbrochener ärztlicher und fachärztlich neurologischer Behandlung befinde und er für L.s Unterhalt sorgen müsse. Er übersandte Bestätigungen der Fachärzte für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Dr. B. vom 22. März 2012 und Dr. N. vom 21. März 2012. Dr. N. bestätigte aus nervenärztlicher Sicht eine massive seelische Behinderung, die eine Erwerbstätigkeit L.s unmöglich mache.
Am 16. August 2012 stellte das Team Reha-SB-Stelle der Agentur für Arbeit erneut fest, dass aufgrund des Begutachtungsergebnisses die Voraussetzungen für eine Mehrfachanrechnung gemäß § 76 Abs. 1 SGB IX nicht erfüllt seien. Das Kind L. sei in der Lage eine arbeitslosenversicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes auszuüben. Dies gelte für den Zeitraum ab März 2012. Dieser Stellungnahme liege ein aktuelles amtsärztliches Gutachten vom 14. August 2012 zugrunde. Nähere Ausführungen zum Inhalt des amtsärztlichen Gutachtens sind dieser Feststellung nicht zu entnehmen.
Mit Einspruchsentscheidung vom 6. September 2012 wies die Familienkasse … unter Zugrundelegung der Stellungnahme des Teams Reha-SB-Stelle der Agentur für Arbeit vom 16. August 2012 den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück.
Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Klage. Er begehrt die Aufhebung des Bescheids vom 15. März 2012 und der Einspruchsentscheidung vom 6. September 2012. Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG bestehe für den volljährigen L. Anspruch auf Kindergeld, da er wegen einer körperlichen, geistigen und einer seelischen Behinderung außerstande sei, sich selbst zu unterhalten. L. weise einen GdB von 50 auf und habe sich zum wiederholten Male vom 28. September 2012 bis 4. Dezember 2012 in stationärer psychiatrischer Behandlung des Bezirksklinikums befunden. Er leide u.a. nach der Bestätigung des Bezirksklinikums vom 3. Dezember 2012 unter einer bipolaren affektiven Störung. Laut ärztlicher Bescheinigung von Dr. N. vom 6. Dezember 2012 sei L. seit längerem in ambulanter Dauerbehandlung mit entsprechender stationärer ...