Entscheidungsstichwort (Thema)
Zurechnung von Prostitutionsumsätzen. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: XI R 28/23)
Leitsatz (redaktionell)
1. Für die Zurechnung von in einem Bordell erbrachten Prostitutionsumsätzen kann maßgebend sein, ob der Unternehmer nach den Umständen des Einzelfalls z. B. in seiner Werbung als Inhaber eines Bordells oder eines bordellähnlichen Betriebs als Erbringer sämtlicher vom Kunden erwarteter Dienstleistungen einschließlich der Verschaffung von Geschlechtsverkehr aufgetreten ist.
2. Im Streitfall sprach für die Zurechnung der Umsätze beim Bordellbetreiber unter anderem, dass dieser nach den mit den Prostituierten getroffenen zivilrechtlichen Vereinbarungen über die von den Prostituierten zu zahlenden, umsatzabhängigen Entgelte für Werbung direkt an deren Umsätzen beteiligt war.
3. Dieser Zurechnung stand weder entgegen, dass nach den zivilrechtlichen Vereinbarungen nicht der Betreiber, sondern eine – gegenüber den Freiern nicht auftretende – Vermietungsgesellschaft den Prostituierten ihre Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt hat, noch, dass die Prostituierten mit den Freiern verhandelt und den Freierlohn vereinnahmt haben.
Normenkette
UStG § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 1
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Zurechnung von Prostitutionsumsätzen sowie der Zuschätzung aufgrund von Buchführungsmängeln.
Satzungsgemäßer Gegenstand des Unternehmens der mit Gesellschaftsvertrag vom … gegründeten Klägerin sind der Betrieb einer Internetplattform bzw. Internetportale, Groß- und Einzelhandel mit Hard- und Software sowie der Elektrohandel. Zu einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführern der Klägerin waren in den Streitjahren B sowie C bestellt. Dem Ehegatten der B, A, war in den Streitjahren Einzelprokura für die Klägerin übertragen.
Satzungsgemäßer Gegenstand des Unternehmens der ebenfalls mit Gesellschaftsvertrag vom gegründeten X GmbH ist die gewerbliche Zimmervermietung, insbesondere in dem Etablissement X. Einzelvertretungsberechtigte Gesellschafter-Geschäftsführerin der X GmbH war in den Streitjahren B; A war in den Streitjahren Einzelprokura übertragen.
Für die Besteuerungszeiträume bis einschließlich 30. September 2009 hatte die X GmbH die in den Bordellen X, L (jeweils in …) sowie V (in) von Prostituierten als Subunternehmerinnen erzielten Umsätze erklärt.
Aufgrund einer vom damaligen Vertreter der X GmbH, Steuerberater, vorgeschlagenen Gestaltung sollten die Vermietung an die und die Werbung für die Prostituierten voneinander getrennt werden. Für die Besteuerungszeiträume ab dem 1. Oktober 2009 erklärte deshalb die X GmbH Umsätze aus der Vermietung von Zimmern in den vorgenannten Bordellen an dort tätige Prostituierte, während die Klägerin Umsätze aus der Überlassung der Telefon- und EDV-Anlage sowie der Werbetätigkeit für diese Prostituierten erklärte.
Im gleichlautenden Impressum der Internetseiten der Bordelle X, L und V wurde die Klägerin in den Streitjahren unter „Betriebsname” mit ihrer Firma genannt sowie ihre Adresse, Kontaktdaten, Geschäftsführerin, Handelsregisternummer und Gerichtsstand aufgeführt, während der Prokurist der Klägerin als „Inhaltlich verantwortlich” genannt wurde. Auf diesen Internetseiten, die miteinander verlinkt waren, wurden die jeweils in den einzelnen Bordellen tagesaktuell anwesenden Prostituierten mit Namen und Foto vorgestellt; auf der Seite der X wurde mit dem Hinweis auf V geworben: „Besuchen SIE uns auch in !”; auf der Seite der L befand sich der Hinweis: „Besuche auch die X in !!!”. Außerdem gab es auf den Internetseiten aller Bordelle Vorschaukalender, in den zukünftig anwesende Prostituierte beworben wurden (Bl. 69 ff. ErmA Bd. I). Weder auf den Websites noch in Bordellen gab es den Hinweis, dass die Leistungen durch die Prostituierten selbst erbracht würden.
Die Klägerin schloss mit den Prostituierten Dienstverträge (vgl. Bl. 1187 ff. der ErmA Band III), in denen sie den Damen gestattete, vorhandene EDV- und Telefonanlagen zu nutzen, und sich verpflichtete, Werbemaßnahmen durchzuführen. Dafür sollte die Klägerin ein Entgelt erhalten, das vom Umsatz der Prostituierten abhing.
Alle Flure und Hauseingänge in allen Bordellen waren kameraüberwacht; die Kameraüberwachung wurde live über das Internet zum Wohnhaus des A geleitet. Anhand der gespeicherten Filme überprüfte dieser die Anzahl und Aufenthaltszeiten der Kunden bei den Damen, um so eine Kontrolle über die von den Damen gemachten Umsatzangaben ausüben zu können.
In ihren eingereichten Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre, denen der Beklagte (das Finanzamt -FA-) zustimmte, errechnete die Klägerin ihre Umsatzsteuer mit dem negativen Betrag von EUR (2009) sowie den Beträgen von EUR (2010), EUR (2011), EUR (2012), EUR (2013) und EUR (2014).
Am 9. Oktober 2014 durchsuchten Beamte der Steuerfahndungsstelle des FA die Wohnräume des Ehepaars A und B in sowie die Räume der Bo...