rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld. Wohnsitz eines in China studierenden Kindes
Leitsatz (redaktionell)
1. Das Wesen eines Wohnsitzes im steuerrechtlichen Sinn besteht nicht nur darin, dass objektiv die Wohnung ihrem Inhaber jederzeit zur Verfügung steht, sondern auch darin, dass diese von ihm subjektiv zu einem entsprechenden Aufenthalt mit Wohncharakter bestimmt ist. In dieser zur objektiven Eignung hinzutretenden subjektiven Bestimmung liegt der Unterschied zwischen dem bloßen Aufenthaltnehmen in einer Wohnung und dem Wohnsitz (BFH v. 25.9.2014, BFH/NV 2015, 266 m.w.N.).
2. Bei Kindern, die zum Zwecke der Schul-, Hochschul- oder Berufsausbildung auswärtig untergebracht sind, reicht es für einen Inlandswohnsitz daher nicht aus, wenn die elterliche Wohnung dem Kind weiterhin zur Verfügung steht.
3. Neben der voraussichtlichen Dauer der auswärtigen Unterbringung, der Art der Unterbringung am Ausbildungsort auf der einen und im Elternhaus auf der anderen Seite, dem Zweck des Auslandsaufenthalts, den persönlichen Beziehungen des Kindes am Wohnort der Eltern einerseits und am Ausbildungsort andererseits, kommt der Dauer und Häufigkeit der Inlandsaufenthalte erhebliche Bedeutung zu.
4. Regelmäßig nicht ausreichend sind bei mehrjährigen Auslandsaufenthalten nur kurze, üblicherweise durch die Eltern-Kind-Beziehungen begründete Besuche. Dies ist bei lediglich kurzzeitigen Aufenthalten –zwei bis drei Wochen pro Jahr – nach der Lebenserfahrung der Fall.
Normenkette
EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 62 Abs. 1 S. 3; AO § 8
Tenor
1. Unter Aufhebung des Bescheids vom 15. Oktober 2012 und der Einspruchsentscheidung vom 29. Januar 2013 wird die Familienkasse verpflichtet, dem Beklagten für seine Tochter M im Zeitraum August 2012 bis Januar 2013 Kindergeld zu gewähren.
2. Die Familienkasse trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob der Kläger einen Anspruch auf Kindergeld für seine Tochter M für den Zeitraum August 2012 bis Januar 2013 geltend machen kann.
M, geboren am 17. November 1993, ist chinesische Staatsangehörige. Durch Beschluss des Amtsgerichts vom 2. August 2012 wurde ihre Annahme als Kind des Klägers und seiner Ehefrau ausgesprochen. Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger, seine Ehefrau ist chinesische Staatsangehörige und lebt seit dem 21. August 1998 mit dem Kläger in G. M studierte seit September 2011 in China und bewohnte während des Semesters mit Kommilitonen ein möbliertes Mehrbettzimmer im dem der Universität angeschlossenen Studentenwohnheim (vgl. Immatrikulationsbescheinigung der Universität vom 28. September 2012). Während der vorlesungsfreien Zeit hielt sie sich in G auf. Bereits am 21. Januar 2010 erfolgte ihre Anmeldung bei der Meldebehörde der Gemeinde G. Laut Meldebestätigung des Einwohnermeldeamtes der Gemeinde vom 14. März 2012 war M außerdem am 14. Januar 2012 in die Wohnung des Klägers eingezogen und am 12. März 2012 ausgezogen sowie vom 26. Juli 2012 bis zum 1. September 2012 in G gemeldet. Für diesen Zeitraum hatte sie von der Universität eine Besuchsbescheinigung für den Aufenthalt in Deutschland erhalten. Am 13. Januar 2013 erfolgte eine erneute Anmeldung in G.
Der am 8. Oktober 2012 gestellte Antrag auf Kindergeld für M wurde mit Bescheid der Familienkasse vom 15. Oktober 2012 abgelehnt, da M nicht als Kind berücksichtigt werden könne. Sie habe weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland noch in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet.
Der dagegen gerichtete Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 29. Januar 2013 als unbegründet zurückgewiesen.
Mit der dagegen erhobenen Klage vertieft der Kläger sein Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren. Zu Unrecht habe die Familienkasse seinen Antrag auf Kindergeld abgelehnt. Seine Tochter verfüge im elterlichen Haus seit dem Erstbezug des Hauses im November 2004 über ihr eigenes Zimmer nebst eigenem Mobiliar und persönlichen Gegenständen, die auch während ihrer studienbedingten Abwesenheit dort verblieben. Sie besitze Haus- und Zimmerschlüssel und habe sich in G mit einer gewissen Regelmäßigkeit aufgehalten, wie sich auch aus den Meldebestätigungen der Gemeinde ergebe. Dabei handle es sich um den Zeitraum vom 20. Januar bis 3. März 2010 (6 ½ Wochen), vom 14. Januar bis 12. März 2012 (8 Wochen), vom 26. Juli bis 1. September 2012 (5 ½ Wochen) und vom 13. Januar bis 4. März 2013 (7 Wochen). Im Übrigen habe sich M entschieden, ihre Ausbildung bzw. ihr Studium in Deutschland fortzusetzen und halte sich seit 27. August 2013 dauerhaft in G auf.
Die vorübergehende räumliche Trennung vom Familienwohnsitz stehe de...