Entscheidungsstichwort (Thema)
Biersteuer. Geschäftsführerhaftung. Mittelvorsorgepflicht
Leitsatz (redaktionell)
1. Die steuerliche Pflicht zur Mittelvorsorge bereits vor Fälligkeit der Steuer betrifft allein die zukünftige Erfüllung entstandener Steueransprüche des Fiskus, nicht aber deren Begründung. Die unternehmerische Dispositionsfreiheit bleibt auch in Krisenzeiten grundsätzlich erhalten.
2. Der Geschäftsführer eines Brauereibetriebs ist nicht verpflichtet, in einer Krisensituation den auf die Biersteuer entfallenden Betrag aus den Verkaufserlösen abzuzweigen und ausschließlich zur Begleichung der Biersteuerschuld zurückzubehalten und zu verwenden.
Normenkette
AO § 191 Abs. 1, § 69; BierStG § 15 Abs. 1 S. 6
Nachgehend
Tenor
1. Der Bescheid vom 02. März 2016 und die Einspruchsentscheidung vom 31. März 2017 werden aufgehoben.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Bescheides, mit dem der Kläger für Biersteuerschulden einer GmbH in Anspruch genommen wurde.
Der Kläger ist seit dem 25. Juli 2019 der Liquidator der X-Produktions GmbH (im Folgenden: Produktions-GmbH), die mit Gesellschaftsvertrag vom 22. Juli 2010 gegründet worden war (…). Alleingesellschafterin ist die X-GmbH (…). Mit ihr bestand ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag. Zur X-Gruppe gehörte außerdem die X-Verwaltungs GmbH (…). Alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer aller drei Gesellschaften war der Kläger.
Der Produktions-GmbH war eine Erlaubnis als Steuerlagerinhaber für Bier erteilt. Sie braute verschiedene Biersorten. Die dafür erforderlichen Rohstoffe erwarb sie von der herrschenden GmbH, an die sie das hergestellte Bier verkaufte. Im Rechtsverkehr nach außen trat nahezu ausschließlich die X-GmbH auf, von der auch Zahlungen veranlasst wurden. Die Produktions-GmbH verfügte über keine eigenen Kontoverbindungen. Wechselseitige Forderungen und Verbindlichkeiten wurden in das Verrechnungskonto eingestellt.
Bei der Produktions-GmbH waren (…) Mitarbeiter beschäftigt. Die monatlichen Lohnkosten beliefen sich auf ca. (…) EUR brutto. Die Löhne wurden bis einschließlich November 2014 bezahlt. Die Verbindlichkeiten gegenüber der Stadtwerke Y GmbH, von der die Produktions-GmbH Strom, Gas und Wasser bezog, betrugen zum 30. September 2014 (…) EUR. Am 8. Oktober 2014 und am 12. Dezember 2014 erfolgten Zahlungen an die Stadtwerke Y GmbH in Höhe von (…) EUR und (…) EUR.
Aufgrund der von der Produktions-GmbH abgegebenen Steuererklärungen setzte das HZA u.a. folgende Biersteuern fest:
Bescheid vom |
Monat |
Betrag in EUR |
fällig am |
13. Oktober 2014 |
September 2014 |
… |
20. Oktober 2014 |
11. November 2014 |
Oktober 2014 |
… |
20. November 2014 |
9. Dezember 2014 |
November 2014 |
… |
20. Dezember 2014 |
13. Januar 2015 |
Dezember 2014 |
… |
20. Januar 2015 |
Mit Schreiben vom 4. Dezember 2014 beantragte die Produktions-GmbH Stundung der Biersteuer für September 2014 bis zum 15. Dezember 2014. Die Vollstreckungsstelle teilte der Produktions-GmbH mit, dass der Zahlungseingang bis zum 20. Dezember 2014 erwartet werde. Die Zahlung der Biersteuer für September 2014 nebst entstandener Säumniszuschläge von (…) EUR erfolgte am 15. Dezember 2014.
Mit Schreiben vom 10. Dezember 2014 teilte die Produktions-GmbH der Vollstreckungsstelle mit, dass die Verhandlungen über einen Kreditrahmen noch nicht abgeschlossen seien. Sie bat um Stundung der Biersteuer für Oktober bis 22. Dezember 2014. Die Vollstreckungsstelle erklärte sich damit am 16. Dezember 2014 einverstanden. Die Zahlung der Biersteuer für Oktober 2014 und der entstandenen Säumniszuschläge von (…) EUR wurde am 19. Dezember 2014 angewiesen und ging am 23. Dezember 2014 beim HZA ein. Für die Begleichung der am 20. Dezember 2014 fälligen Biersteuer für November 2014 und der sonstigen fälligen Verbindlichkeiten waren keine ausreichenden Mittel mehr vorhanden. Auch die Biersteuer für Dezember 2014 blieb unbezahlt.
Am 30. Dezember 2014 beantragte die Produktions-GmbH die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Der Antrag wurde mit Zahlungsunfähigkeit begründet. Am 2. Januar 2015 ordnete das Amtsgericht Y die vorläufige Insolvenzverwaltung an und bestimmte, dass Verfügungen der Gesellschaft nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind. Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Y vom 1. März 2015 (Az. …) eröffnet und durch Beschluss vom 15. Oktober 2018 nach Schlussverteilung aufgehoben.
Zeitgleich mit der Produktions-GmbH stellten auch die X-GmbH und die X-Verwaltungs GmbH Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermö...