Entscheidungsstichwort (Thema)
Verjährung von Einfuhrabgaben im Versandverfahren. Zoll (bisher 3 K 399/96). Abschöpfung. Einfuhrumsatzsteuer
Leitsatz (redaktionell)
Der Hauptverpflichtete kann im allgemeinen für hinterzogene Einfuhrabgaben innerhalb der erweiterten Verjährungsfrist nur in Anspruch genommen werden, wenn er oder sein Beauftragter von der Zuwiderhandlung im Versandverfahren keine Kenntnis hatte.
Normenkette
EWGV 2144/87 Art. 2 Abs. 1 Buchst. c, d; EWGV 1031/88 Art. 4 Abs. 2, Art. 5; UStG § 13 Abs. 3, § 21 Abs. 2; AbG § 1; EWGV 1697/79 Art. 2-3; AO § 169 Abs. 2 S. 2 2. HS, S. 3
Gründe
I.
Streitig ist, ob die Klägerin zu Recht als Hauptverpflichtete für Einfuhrabgaben für Versandgut in Anspruch genommen wird, das nicht wiedergestellt wurde.
Die Klägerin beantragte als Hauptverpflichtete in zwölf Fällen bei der Grenzkontrollstelle (GKSt) … die Abfertigung von lebenden Rindern aus Polen zum externen gemeinschaftlichen Versandverfahren (gVV) T 1. Als Bestimmungszollstelle gab sie das ZA (ZA) Barcelona in Spanien an (zur Ausfuhr nach Algerien). Es handelte sich um folgende gVV:
- VAB I Nr. 6869 vom 7. Dezember 1989,
- VAB I Nr. 6870 vom 7. Dezember 1989,
- VAB I Nr. 8288 vom 19. Dezember 1989,
- VAB I Nr. 424 vom 7. Januar 1990,
- VAB I Nr. 425 vom 7. Januar 1990,
- VAB I Nr. 2023 vom 24. Januar 1990,
- VAB I Nr. 2024 vom 24. Januar 1990,
- VAB I Nr. 4227 vom 13. Mai 1990,
- VAB I Nr. 4991 vom 20. Mai 1990,
- VAB I Nr. 5537 vom 25. Mai 1990,
- VAB I Nr. 6064 vom 29. Mai 1990 und
- VAB I Nr. 6330 vom 1. Juni 1990.
Aufgrund der Erledigungsstempel des ZA Barcelona auf den Rückscheinen wurden die gVV abgeschlossen.
Die von der EG-Kommission angeordneten Ermittlungen ergaben, daß sämtliche Erledigungsvermerke gefälscht und das str. Versandgut nicht wiedergestellt worden war. Daraufhin forderte das HZA mit zwölf Steuerbescheiden vom 5. bzw. 6. Juli 1994 von der Klägerin als Hauptverpflichtete 138.424,40 DM Zoll, 590.095,90 DM Abschöpfung und 111.556,70 DM Einfuhrumsatzsteuer (insgesamt 840.077,– DM) an.
Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin gegen die Einspruchsentscheidung vom 29. Dezember 1995 Klage, mit der sie im wesentlichen folgendes geltend macht:
Im Zeitpunkt des Zugangs der str. Steuerbescheide sei gegenüber der Klägerin die Festsetzungsverjährung eingetreten. Die reguläre 3-jährige Festsetzungsverjährung für eine Inanspruchnahme aus Art. 2 Abs. 1 Buchst. d VO Nr. 2144/87 sei abgelaufen. Die 10-jährige Festsetzungsverjährung greife nicht, weil die Klägerin weder Täter, Mittäter oder Gehilfe gewesen sei noch aus der Tat einen Vorteil erlangt habe. Eine Sorgfaltspflichtverletzung könne der Klägerin nicht angelastet werden, weil sie ebenso wie das HZA die Erledigungsvermerke für zutreffend gehalten habe und noch halte. Die Klägerin habe keine Möglichkeit besessen, die Zuwiderhandlungen aufzudecken.
Im übrigen habe der damals geltende Art. 13 VO Nr. 222/77 eine abgabenrechtliche Verantwortung des Hauptverpflichteten nicht gekannt. Es bestehe keine Rechtsgrundlage, einen Hauptverpflichteten auf Zahlung von Abgaben in Anspruch zu nehmen, die durch strafrechtlich relevantes Verhalten Dritter verursacht seien. Die Vorschriften des Versandrechts seien lex specialis gegenüber den Zollschuldvorschriften.
Schließlich seien für eine Inanspruchnahme der Klägerin als Hauptverpflichtete die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen nicht eingehalten. Das HZA habe es versäumt, spätestens bis zum Ablauf von 11 Monaten nach Ausstellung des gemeinschaftlichen Versandscheines die Klägerin über die angebliche Nichterledigung zu informieren. Es handele sich hierbei um eine Ausschlußfrist. Außerdem sei der Klägerin keine 3-monatige Frist gesetzt worden. Desweiteren sei das HZA zur abgabenrechtlichen Verfolgung unzuständig. Die vom HZA geschätzten Zollwerte seien unzutreffend, weil für vergleichbare Tiere weitaus niedrigere Preise erzielt würden.
Das HZA erließ wegen des zollwertrechtlichen Vorbringens Steueränderungsbescheide vom 9. Oktober 1996, die die Klägerin mit Schreiben vom 15. Oktober 1996 zum Gegenstand der Klage erklärte.
Die Klägerin beantragt
Das HZA beantragt,
die Abweisung der Klage.
Die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Klägerin seien erfüllt. Es gelte die 10-jährige Festsetzungsverjährung gem. Art. 3 VO Nr. 1697/79 i.V.m. § 169 Abs. 2 Abgabenordnung (AO). Die Anwendung dieser Vorschrift sei nicht von der Art des Zollschuldentstehungstatbestands abhängig. Auch wenn die Klägerin nicht an der Steuerhinterziehung beteiligt gewesen sei, müsse die 10-jährige Verjährung auf sie angewendet werden, weil sie nicht den Nachweis erbracht habe, daß sie durch die Tat keinen Vermögensvorteil erlangt und die im Verkehr erforderlichen Vorkehrungen zur Verhinderung von Steuerverkürzungen getroffen habe. Der Vermögensvorteil liege in der vereinnahmten Gebühr in Höhe von 45,– DM....