Entscheidungsstichwort (Thema)
Abzweigung von Kindergeld. Ermessensentscheidung
Leitsatz (redaktionell)
Bei der Entscheidung über die Abzweigung von Kindergeld sind Unterhaltsleistungen, die der Kindergeldberechtigte trotz fehlender Leistungsfähigkeit und damit fehlender Unterhaltspflicht erbracht hat, nicht auf der Ebene der Tatbestandsvoraussetzungen für die Ermessensentscheidung als generelles Abzweigungshindernis, sondern erst im Rahmen der Ermessensentscheidung selbst zu berücksichtigen.
Normenkette
EStG § 74 Abs. 1; FGO § 102
Tenor
1. Der Bescheid über die Ablehnung der Abzweigung des Kindergeldes für S vom 16. April 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26. August 2003 wird, soweit die Abzweigung von Kindergeld ab 01. Februar 2003 abgelehnt wird, aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin und die Beklagte je zur Hälfte.
5. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Streitig ist, ob eine Abzweigung von Kindergeld an eine Unterhalt gewährende Stelle wegen fehlender Unterhaltspflicht des Kindergeldberechtigten trotz geleisteter Unterhaltsleistungen erfolgen kann.
I.
Der am 15. November 1985 geborene S ist seit 01. Februar 2003 im Jugendwohnheim X, untergebracht und erhält dort gemäß § 35a Abs. 2 Nr. 4 Sozialgesetzbuch –SGB– Teil VIII Eingliederungshilfe. Die beigeladene Mutter des S (nachfolgend: die Beigeladene) ist Hausfrau ohne eigenes Einkommen und konnte daher nicht zur Zahlung eines Kostenbeitrags gemäß § 94 Abs. 2 SGB VIII verpflichtet werden. Der Vater des S ist unbekannten Aufenthaltes und konnte daher ebenfalls nicht zu einer Unterhaltsleistung herangezogen werden. Ab Dezember 2003 lagen wegen Überschreitens der Einkunftsgrenzen die Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch für das Kind S nicht mehr vor.
Mit Schreiben vom 17. Februar 2003 beantragte das Landratsamt bei der Beklagten (der Agentur für Arbeit … – Familienkasse –FK–) die Abzweigung des anteiligen Kindergeldes. In diesem Zusammenhang leitete die FK der Beigeladenen einen Kindergeldantrag zu, den diese ausgefüllt zurücksandte. In diesem Antrag werden keine Angaben zu den tatsächlich entstandenen Unterhaltsaufwendungen abgefragt. Die Beigeladene fügte ihrem Antwortschreiben den Hinwies bei, dass S weiterhin an den Wochenenden nach Hause komme und sie mangels Einkommen weiterhin auf das Kindergeld angewiesen sei. Einer Abzweigung an das Landratsamt widersprach die Beigeladene. Daraufhin lehnte die FK den Abzweigungsantrag mit Bescheid vom 16. April 2003 mit der Begründung ab, dass S an den Wochenenden regelmäßig in den Haushalt der Beigeladenen zurückkehre, so dass der Beigeladenen laufende Unterhaltskosten in Höhe des Kindergeldes entstünden. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies die FK nach Aktenlage ohne weitere Ermittlungen mit Einspruchsentscheidung vom 26. August 2003 als unbegründet zurück. In der Einspruchsentscheidung wird u.a. ausgeführt, dass eine Abzweigung von Kindergeld nur in Betracht komme, wenn die Eltern überhaupt nichts zum Unterhalt beitragen oder ihre Unterhaltsbeiträge geringer seien als das Kindergeld. Sach- und Betreuungsleistungen des Kindergeldberechtigten seien dabei Geldleistungen gleich zu stellen. Da sich aufgrund der Ermittlungen ergeben habe, dass S sich jedes Wochenende und in den Ferien bei der Beigeladenen aufhalte, sei von Unterhaltsleistungen auszugehen, die mindestens so hoch seien wie das Kindergeld.
Mit Bescheid vom 05. September 2003 bewilligte die FK zu Gunsten der Beigeladenen für die Zeit ab Februar 2003 Kindergeld für S.
Mit der fristgerecht eingereichten Klage wendet sich das Landratsamt gegen die Ablehnung der Abzweigung des Kindergeldes. Zur Begründung der Klage trägt das Landratsamt im Wesentlichen vor: Das Kindergeld sei gemäß § 74 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) an das Landratsamt abzuzweigen, weil dieses den gesamten Lebensunterhalt des M sicherstelle und die Beigeladene zu keinem Kostenbeitrag herangezogen werden könne. Für Aufenthalte bei der Beigeladenen von bis zu drei Tagen zahle die Einrichtung, in der S untergebracht sei, einen Betrag in Höhe des anteiligen Regelsatzes nach dem Bundessozialhilfegesetz an das Kind bzw. erbringe sie eine entsprechende Sachleistung. Dies bedeute, dass die Beigeladene nur noch für Abwesenheitszeiten von mehr als drei aufeinander folgenden Tagen den Lebensunterhalt des S sicherstellen müsse. Für diese Zeiten würde ihr aber im Falle einer Abzweigung das Kindergeld anteilig zugestanden werden. Zudem halte sich S entgegen der Behauptung der FK seit Geburt eines Halbgeschwisters im Mai 2003 nicht mehr regelmäßig an Wochenenden bei der...