Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestätigung des Vorlagebeschlusses des Gerichts v. 2.3.2007 an das BVerfG: Verfassungswidrigkeit der zur Hinzurechnung gem. § 8 Nr. 5 GewStG ergangenen Anwendungsregelung des § 36 Abs. 4 GewStG
Leitsatz (redaktionell)
1) Das Gericht ist weiterhin der Überzeugung, dass § 36 Abs. 4 GewStG i.V.m. § 8 Nr. 5 GewStG, jeweils i.d.F. des UntStFG v. 20.12.2001 (verkündet am 24.12.2001 im BGBl. I 2001, 3858), insoweit verfassungswidrig ist, als die sich steuererhöhend auswirkende Gesetzesänderung auf den gesamten Erhebungszeitraum 2001 und damit auch auf solche Gewinnanteile anzuwenden ist, deren Ausschüttung vor dem 24.12.2001 durch die Gesellschafterversammlung beschlossen wurde und deren Auszahlung (Abfluss bei der Gesellschaft und Zufluss bei den Gesellschaftern) ebenfalls bereits vor diesem Datum erfolgte.
2) Es ist im Streitfall unerheblich, ob der Vertrauensschutz schon mit der Zustimmung des Bundesrates zum vom Deutschen Bundestag beschlossenen Gesetz entfällt oder ob dies erst im Zeitpunkt der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt der Fall ist.
Normenkette
GewStG § 8 Nr. 5; KStG § 8b Abs. 1; GG Art. 20 Abs. 3; GewStG § 36 Abs. 4
Tatbestand
Der Senat hat mit Beschluss vom 2. März 2007 die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht (BVerfG) darüber eingeholt,
„ob die zu § 8 Nr. 5 Gewerbesteuergesetz (GewStG) i.d.F. des Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz (UntStFG) vom 20. Dezember 2001 (BGBl I 2001, 3858) ergangene Anwendungsregelung des § 36 Abs. 4 GewStG i.d.F. des UntStFG mit Artikel 20 Abs. 3 i. V. m. Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz insoweit vereinbar ist, als die nach § 8b Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes außer Ansatz bleibenden Gewinnanteile (Dividenden) und die diesen gleichgestellten Bezüge und erhaltenen Leistungen aus Anteilen an einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse im Sinne des Körperschaftsteuergesetzes, soweit sie nicht die Voraussetzungen des § 9 Nr. 2a oder 7 GewStG erfüllen, unter den in dieser Vorschrift weiter genannten Voraussetzungen auch dann dem Gewinn aus Gewerbebetrieb, § 7 GewStG, hinzuzurechnen sind, wenn der Gewinnverwendungsbeschluss der ausschüttenden Körperschaft vor dem 20. Dezember 2001 gefasst und der auf die als Gesellschafterin beteiligte Körperschaft entfallende Betrag auch vor dem 20. Dezember 2001 ausgezahlt wurde und das im Zeitpunkt der Beschlussfassung und Auszahlung geltende Gesetz eine Hinzurechnung zum Gewinn nicht vorsah.
Die Äußerung des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 29. März 2011 und die Stellungnahme des I. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) sowie die zeitlich nach dem vorgenannten Vorlagebeschluss ergangene neuere Rechtsprechung des BVerfG (insbesondere Beschlüsse vom 7. Juli 2010 2 BvL 14/02, 2/04, 13/05, Entscheidungen des BVerfG – BVerfGE – 127, 1; vom 7. Juli 2010 2 BvL 1/03, 2 BvL 57/06, 2 BvL 58/06, BVerfGE 127, 31; vom 7. Juli 2010 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BVerfGE 127, 61) gaben Anlass, den Vorlagebeschluss zu überprüfen. Zwar geht der Senat davon aus, dass die Begründung seines Vorlagebeschlusses – entgegen der Ansicht des BMF – den Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) genügte. Insbesondere lässt das BVerfG eine Bezugnahme auf die Entscheidung eines anderen Gerichts ausnahmsweise zu, wenn der Vorlagebeschluss des anderen Gerichts bereits beim BVerfG anhängig und zudem in der Fachpresse veröffentlicht ist; denn in der Sache wird nichts gewonnen, wenn ein vorlegendes Gericht zur Begründung seiner Vorlage den dem BVerfG bereits vorliegenden Beschluss abschreibt (BVerfG-Beschluss vom 9. März 1994 2 BvL 43/92 u.a., BVerfGE 90, 145 [167]). Die Verweise des Senats im Vorlagebeschluss vom 2. März 2007 erfüllten diese Voraussetzungen, zumal sie sich auf Vorlagen eines obersten Bundesgerichts (BFH-Beschlüsse vom 16. Dezember 2003 IX R 46/02, Entscheidungen des Bundesfinanzhofs – BFHE – 204, 228, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2004, 284; vom 2. August 2006 XI R 30/03, BFHE 214, 406, BStBl II 2006, 895; vom 2. August 2006 XI R 34/02, BFHE 214, 386, BStBl II 2006, 887) bezogen, die ausweislich der nachfolgenden Entscheidung des BVerfG vom 7. Juli 2010 (BVerfGE 127, 1 und BVerfGE 127, 31) den Anforderungen des § 80 Abs. 2 S. 1 BVerfGG genügten. Unabhängig davon bedurfte es jedoch einer erneuten Entscheidung des Senats unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung des BVerfG. Das Verfahren wurde deshalb durch Beschluss 17. August 2011 wieder aufgenommen und der Rechtsstreit am 1. September 2011 erneut mündlich verhandelt.
Der Senat hält im Ergebnis an dem Vorlagebeschluss fest.
Die Ausführungen im Vorlagebeschluss vom 2. März 2007 sind jedoch teilweise zu ergänzen und hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Beurteilung zu ändern. Der Senat hält es aus Gründen der Übersichtlichkeit für sachgerecht, die Entscheidungsgründe insgesamt neu zu fassen.
A. Tatbestand
Streitig ist, ob eine am 15. Dezember 2001 beschlosse...